Astronomiegeschichte

Astronomie früherer Kulturen

Vor über einem Jahr stand ich auf mexikanischen Boden und sah mit eigenen Augen, wie sich an einem herrlichen Sommertag der Mond langsam vor die Sonne schob, die Sonne ganz verfinsterte und eine Atmosphäre verbreitete, die sogar mir Schauer über den Rücken jagte. Wieder einmal machte ich mir Gedanken darüber, was frühere Kulturen beim Anblick solch eines überwältigenden Ereignisses denken und fühlen mußten. Aber nicht nur solch seltene Ereignisse prägten das Verhalten und die Entwicklung früherer (auch schon vergangener) Kulturen, sondern auch der für uns allnächtliche Sternenhimmel. Die Beschäftigung der Menschen mit dem Lauf der Gestirne geht bis auf die jüngere Steinzeit zurück.

 

Ackerbau als Voraussetzung für Astronomie?

Wahrscheinlich war es die Einführung des Ackerbaus, der mit einer genauen Beobachtung der Jahreszeiten auch deren Festlegung und damit eine Beobachtung der Gestirne notwendig machte. Priesterastronomen setzten nach dem Stand der Sternbilder landwirtschaftliche Termine fest. Zugleich dienten astronomische Kenntnisse der Ausübung von Kulthandlungen, und wurden so zu einem Machtmittel. Die Astronomie ist somit eine der ältesten Wissenschaften überhaupt, zumindest im Hinblick auf das Bestreben, empirische Daten systematisch zu sammeln.

„Der Mond ist zum zählen der Tage geschaffen“

Zu den ersten Erkenntnissen gehörte die Entdeckung, daß viele Himmelserscheinungen periodisch verlaufen. Hierauf beruht die Einrichtung von Kalendern. Der von einem jüdischen Rabbi (im Midrasch) ausgedrückte Gedanke, daß „der Mond zum Zählen der Tage erschaffen worden ist“ muß einer ganzen Reihe von Menschen an den verschiedensten Stellen der Welt bereits vor einigen tausend Jahren gekommen sein. Fast überall muß diese Protoastronomie existiert haben, die sich mit dem Zählen der Sonnenaufgänge oder Sonnenuntergänge zwischen den Vollmonden beschäftige. Aber auch die helle, regelmäßige Sichtbarkeit der Venus war von Bedeutung. In Mesopotamien war beispielsweise um 2000 v. u. Z. bekannt, daß die Venus fünfmal in 8 Jahren an denselben Punkt des Himmels zurückkehrt.

Damit aber aus der Protoastronomie die echte frühe Astronomie werden konnte, mußten verschiedene Vorbedingungen erfüllt werden. Die eine war ein Himmel, welcher den größten Teil des Jahres klar war. Die andere Bedingung war, daß wenigstens einige der Stammesmitglieder ausreichend Zeit und Muße hatten, Beobachtungen der Gestirne anzustellen. Noch eine Bedingung war, daß man bestimmte Ereignisse schriftlich festzuhalten vermochte, zwecks späteren Studiums und Weitergabe des gesammelten Wissens an zukünftige Generationen.

Der Lichtwechsel des Mondes, sowie die Wiederkehr der Sonnen- und Mondfinsternisse erregte besondere Aufmerksamkeit. Aufzeichnungen darüber gehören zu den ältesten Denkmälern geordneter Naturbeobachtungen wie sie mit Sicherheit schon von den Babylonier am Beginn des 3. Jahrtausends v. Chr. durchgeführt wurden. Etwas jünger ist die Astronomie der Ägypter und der Chinesen. Noch jünger die der Mayas.

Sternbilder als Karten der Seefahrer

Die Beobachtung der Sternbilder war besonders für die seit dem 1. Jahrtausend v.Chr. aufblühende Hochseeschiffahrt von Wichtigkeit und förderte das Interesse an der Astronomie. Um 600 v. Chr. traten die Griechen in den Kreis der Völker, die Astronomie betrieben.

Die einzigen Zeugen sind altertümliche Bauwerke (Stonehenge, Machu Pichu, Pyramiden, Observatorien der Mayas usw.), erhaltene Schriftstücke (Maya-Handschriften, Höhlenmalereien usw.) oder sonst. Archäologische Funde (Grabbeilagen, Orakelknochen usw). Leider wissen wir heute nicht mehr viel von der Bedeutung historischer Stätten. Viele Bauwerke sind im Laufe der Zeit verfallen, oder durch Kriege zerstört worden.

Maya-Handschriften ein Werk des Satans?

Genauso verhält es sich mit schriftlichen Überlieferungen, welche mit der Zeit vergilbt sind oder von fanatische Jägern vernichtet wurden. Auch ist uns oftmals die Grundlage einer Bilderschrift (Hieroglyphen) nicht mehr, bzw. nur noch bruchstückhaft bekannt. Von den berühmten Maya-Enzyklopädien (hergestellt vor der „Entdeckung“ Südamerikas durch die Spanier) sind beispielsweise nur noch drei von den ursprünglich Hunderten von Handschriften, die in Bibliotheken und Tempelarchiven der Maya gehütet wurden, erhalten. Vieles von der Kenntnis früherer Kulturen wird für immer für uns verborgen bleiben und der Spekulation, die ja bis zu dem Kontakt zu Ausserirdischen geht, Tür und Tor öffnen.

Archäoastronomie als Wissenschaft

Um diesen Geheimnissen auf die Spur zu kommen, hat sich ein neuer Wissenschaftszweig, die sog. Archäoastronomie gebildet.

Viele Wissenschaftler sind immer noch der Meinung, der Nachweis eines astronomischen Bewußtseins unter Kulturen ohne schriftliche Überlieferung sei nur als Nebenerscheinung von Interesse. Diese Einstellung wandelt sich aber, seit immer mehr Beweismaterial die zentrale Rolle nachweist, welche die Astronomie in fast jeder früheren Zivilisation gespielt hat – vor allem bei Ackerbaukulturen am Rande der Existenz. In der Tat könnte der größte Beitrag der Archäoastronomie der sein, daß sie ein Gesamtbild der fortwährenden Beziehung Mensch/Natur liefert. Jonathan Rayman schreibt im „Archäoastronomie Bulletin“: „das Fach steht an einem Wendepunkt, das Vorhandensein astronomischer Aufzeichnungen und astronom. ausgerichteter architektonischer Merkmale ist ausreichend nachgewiesen worden. Die Probleme im Hinblick auf die Bedeutung dieser Aufzeichnungen bleiben ebenso, wie der Nachweis, daß die Funde für das Studium vorgeschichtlichen Verhaltens wichtig sind“.

Astronomie als Überlebenstechnik

Für den alten Menschen war Astronomie zuerst eine Überlebenstechnik. Wenn er das Hinausschwingen der Sonne an seinem Horizont nach Süden und Norden markierte, konnte der primitive Bauer die richtigen Zeitpunkte für die Urbarmachung der Felder, das Säen und die Ernte feststellen. Sein Leben wurde voll und ganz an den Sonnenzyklus gekettet. Er formte seine Religion, seine Politik und seine Gesellschaftsstruktur auf eine Art und Weise, die uns heute erst klar wird. Archäoastronomie ist ein Mittel, die frühen Kulturen nach diesen Begriffen zu verstehen.

Neben dem Erforschen des Wissens alter Kulturen, suchen die Archäoastronomen aber auch die alten Himmelszeichnungen danach ab, ob sie etwas über die Erde finden können. Urspünglich war das Interesse z.B. an Finsternissen ein rein historisches: Große Ereignisse des Altertums konnten genauer datiert werden, wenn man sie in Zusammenhang brachte mit bekannten Sonnenfinsternissen, die man berechnen konnte.

„Und Sie dreht sich doch“, aber immer langsamer

Bei der Analyse von Aufzeichnungen über Sonnenfinsternisse entdeckten Astronomen, daß viele Finsternisse Tausende Meilen von der Stelle entfernt beobachtet wurden, die moderne Berechnungen nahe legten. Offenkundig stimmt etwas hier ganz und gar nicht. Anschließende Versuche haben gezeigt, daß im Laufe der Zeit die Erdrotation abnimmt, so daß die Länge des Tages jedes Jahrhundert um ein paar Tausendstel Sekunden zunimmt. Man hat eine ganze Reihe von Theorien aufgestellt, um die Verlangsamung zu erklären. Sonnengezeiten, die Gezeitenwirkung der Meere, eine Masseverschiebung im Erdkern oder sogar ein allg. Nachlassen der Gravitationskraft im ganzen All. Wenn diese Verlangsamung der Erdrotation groß genug war, könnte eine Sonnenfinsternis, die man über Damaskus erwartet hätte, statt dessen in Neu Delhi gesehen worden sein. Durch die Messung der Verschiebung zwischen einer beobachteten Verfinsterungsbahn und der (wie für eine mit gleichmäßiger Geschwindigkeit rotierender Erde) vorausgesagten Bahn, könnten Astronomen in der Lage sein, das genaue Maß zu bestimmen, in dem die Erde seit dieser Zeit der Geschichte langsamer geworden ist. Alte Aufzeichnungen über Finsternisse könnten Wissenschaftlern auch helfen uns etwas über die Zukunft der Sonne selbst zu sagen.

Die Sonne wird immer kleiner

John Eddy (ein Experte für Astronomie der nordamerikanischen Indianer (gleichzeitig Physiker)) der in alten Aufzeichnungen nach Hinweisen auf das Sonnenverhalten gesucht hat, gelangte durch eine Analyse moderner Sternwartenaufzeichnungen aus England und den Vereinigten Staaten zu einer erstaunlichen Entdeckung. Der Durchmesser der Sonne scheint mit ung. 8 Meilen im Jahr abzunehmen. Angesichts der ungeheuren Größe der Sonne ist das ein kleiner Wert, aber in Begriffen der Energieabgabe von Bedeutung. Um seine Theorie zu überprüfen und sich zu vergewissern, daß die Schrumpfung nicht einfach eine scheinbare Wirkung sei, befaßte Eddy sich mit Aufzeichnungen über Finsternisbeobachtungen aus dem Mittelalterlichen Europa. Er stellte fest, daß Clavius (ein italienischer Astronom) eine Finsternis 1567 über Rom beobachtet und als „ringförmig“ beschrieben hatte. Seltsamerweise zeigen moderne Berechnungen (nach der heutigen Sonnengröße) an, daß diese Finsternis eine „totale“ hätte sein müssen (wie vorhergesagt). Ist es möglich, daß die Sonne damals ein wenig größer war, so daß ihre scheinbare Scheibe vom Mond nicht ganz bedeckt wurde. Eddy hält das durchaus für eine Möglichkeit. Aber zusätzliche Beispiele anderer unerwarteter und unvorhergesehener ringförmiger Finsternisse müssen noch in historischen Aufzeichnungen gesucht werden.

Die Erkenntnisse der Archäoastronomie bezogen auf verschiedene Kulturen möchte ich in den nächsten Teilen der folg. Ausgaben näher darstellen. Schwerpunktmäßig werde ich auf die alten Kulturen der Ägypter, der Babylonier, der Griechen, der Chinesen, der Indianer Südamerikas, verschiedener Naturvölker und schließlich auf den Sternglauben der Germanen eingehen. Inhaltlich versuche ich immer nach den gleichen Gesichtspunkten zu erörtern. Die Erfassung und die Vorstellung über Zeit und Raum, also Kalenderberechnungen, Geographie, Einordnung der Erde in ein System, die Bewegung der Planeten, schließlich der Sternglaube und die Sterndeutung. Auch berühmte Gelehrte und Astronomen der jeweiligen Kultur sollen vorgestellt werden. Natürlich geschmückt mit Überlieferungen bestimmter Ereignisse.

Autor: Dieter Meyer

Literaturhinweise

Zinner E.: Gesch. der Sternkunde
Ley W.: Die Himmelskunde
Wußing H.: Gesch. d. Naturwissenschaft
Lexikon d. Gesch. d. Naturwissenschaft

Abb. 1: Ägyptische Priester beobachten den heliaktischen Aufgang des Sirius, des Verkünders der Nilschwemme

„Schön erstrahlst Du im Horizonte des Himmels, Du lebendiger Aton, Du Anfang des Lebens. Wenn Du am Osthorizont aufgegangen bist, Dann erfüllst Du jedes Land mit deiner Vollkommenheit. Du bist schön und groß, licht und hoch über jedem Lande. Deine Strahlen umarmen die Länder bis ans Ende Deiner ganzen Schöpfung… Bist Du selbst auch fern, so sind Deine Strahlen doch auf Erden. Obwohl Du auf der Menschen Antlitz scheinst, ist Dein Lauf unerforschlich. Gehst du unter am westlichen Horizont, So liegt die Erde in Finsternis, In der Haltung des Todes. Die Schläfer sind in der Kammer, verhüllten Hauptes, Kein Auge sieht mehr das andere. Raubt man ihre Habe unterm Kopfe weg, Sie merken es nicht. …“

Dies war ein Ausschnitt aus „Echnatons Großer Sonnengesang“(ca. 1379 – 1362 v. Chr.)

 

Ägypten, sagenumwobenes Reich am Nil

Ägypten, das Land der Pharaonen, soll also diesmal unser Thema sein. Ägypten, ein Land im Nordosten Afrikas, war in der Vorgeschichte und im Altertum begrenzt durch das Mittelmeer im Norden, die Landenge und den Golf von Suez sowie das Rote Meer im Osten und den 1. Nilkaterakt im Süden. Im Westen war eine genaue Grenzziehung in der Sahara weder möglich noch nötig. Der Name leitet sich vermutlich ab vom ägypt. Chikuptach, dem Namen des Haupttempels von Memphis.

Ägypten gehört zu dem am frühesten von Menschen bewohnten Gebieten der Erde. Aus Abbasijja bei Kairo wurden Funde bekannt, die wahrscheinlich zeitlich vor den ältesten Faustkeilen anzusetzen sind. Zwischen dem 13. und 10 Jt. v. Chr. gab es im südl. Oberägypten Gruppen von Jägern, Fischern und Sammlern, deren Spezialisierung (Erntemesser, Reibsteine u.a.) neolithische Erscheinungen z.T. vorwegnahm. Mit der Erfindung der ägypt. Schrift, um 3000 v. Chr. beginnt die Geschichte, nicht nur für den Historiker, weil von da an zeitgenössische Quellen über die Vorgänge Auskunft geben, sondern auch für die Ägypter selbst, da die Schrifterfindung Folge eines veränderten Bewußtseins der Zeit ist. Die Periode von der Reichsgründung bis zu Alexander d. Gr. teilt man in 31 Dynastien ein.

Der Staat und die Hochkultur Ägyptens wurden stark durch die natürliche Beschaffenheit des Landes geprägt: Die jährlich regelmäßig wiederkehrende Nilüberschwemmung förderte früh die Herausbildung eines Kalenders und – weil sie die Feldgrenzen zerstörte – von Landvermessungsmethoden. Während der Zeiten der Trockenheit und der Überschwemmung waren die Landarbeiter ohne Arbeit, was die Staatsführung nutzte, um sie besonders zu großen Bauvorhaben (Pyramiden, Tempel, Bewässerungsanlagen) einzuziehen. Die Nilüberschwemmungen lagerten Ton ab, so daß dieses Material jedem Ägypter, ob reich oder arm, zur Verfügung stand; daraus konnten nicht nur Gefäße, Schmuck o.ä. hergestellt werden, sondern auch Ziegel zum Hausbau.

Unter den Herrschern, die das Land über mehrere Jahrtausende regierten, sollen die Bedeutendsten erwähnt werden.

  • König Djoser um 2620 – 2600 v. Chr. (erste Stufenpyramide von Sakkara (der erste steinerne Monumentalbau der Welt));
  • König Cheops um 2545 – 2520 v. Chr. (gleichnamige, berühmte Pyramide von Gise);
  • König Amenophis IV. später Echnaton um 1379 – 1362 v. Chr (verheiratet mit Nofretete);
  • König Tutanchaton später Tutanchamun um 1346 – 1336 v. Chr. (regiert schon im Alter von 10 Jahren);
  • König Ramses II. um 1290 – 1224 v. Chr. (viele berühmte Bauwerke in Karnak, Luxor usw.);
  • Alexander der Große 332 – 323 v. Chr. (gründete Alexandreia, Mittelpunkt des Welthandels und der Weltbildung);
  • Kleopatra VII. 51 – 30 v. Chr. (geprägt durch polit. Wirren, Cäsar kommt nach Ägypten, wohl bedeutendste Bibliothek wird zerstört).

Die Erfassung der Zeit im alten Ägypten

Die im alten Ägypten betriebene Wissenschaft ist zunächst bestrebt, Tatsachen zu sammeln, und systematisch zu ordnen, doch gelangt sie schon auf manchen Gebieten, z.B. Mathematik und Medizin, zu Regeln und Gesetzmäßigkeiten. In der ägypt. Astronomie stand die Zeitrechnung, der Kalender, im Vordergrund.

Das Naturjahr ergab sich in Ägypten nicht so sehr durch die (wenig hervortretende) Verschiebung der Sonnenbahn als vielmehr durch die jährliche eintretende Nilschwemme. Für das Kalenderjahr (ägyptisches Jahr) ergaben Beobachtungen eine Länge von 365 Tagen: es wurde in drei Jahreszeiten aufgeteilt (Überschwemmung, Herauskommen (der Saat) und Hitze) mit je vier Monaten zu je 30 Tagen, dazu fünf Zusatztage (Epagomenen), die sich im Alten Reich (um 2600 v. Chr.) am Anfang, seit dem Neuen Reich (um 1500 v. Chr.) am Ende des Jahres befanden. Diese Tage galten als unheilvoll. Eine Erklärung dieser Anschauung teilt Plutarch in der folgenden Sage mit: „Der Gott Set und die Himmelsg“ttin Nut hatten heimlich miteinander verkehrt. Die Sonne aber verfluchte die Nut, daß deren Kinder weder in einem Monat noch in einem Jahr geboren werden sollten. Nut wandte sich an den klugen Thoth um Rat. Dieser spielte mit der Mondgöttin Würfel und gewann ihr von jedem Tag des 360tägigen Jahres den 72. Teil ab, aus dem er 5 Tage bildete, die hinter den 12 Monaten angehängt wurden. Dadurch gewann das Sonnenjahr 5 Tage mehr als das alte Jahr, und das Mondjahr hatte nun 355 statt 360 Tage; was jenem gegeben wurde, mußte dieses verloren haben; und so konnten die fünf nachgeborenen Götter in die Welt eintreten“.

Allerdings erkannten die Ägypter (vermutlich in der Mitte des 3. Jt. v. Chr.) daß dieses systematisierte Jahr eine wachsende Abweichung gegenüber dem heliaktischen Aufgang des Sirius (griech.: Sothis) besaß, also gegenüber dem Stern, der (nach längerer Zeit der Unsichtbarkeit) die Nilüberschwemmungen anzeigte. So standen sich das Naturjahr von 365 1/4 Tagen und ein Kalenderjahr von 365 Tagen gegenüber. Diese Abweichung führte nach 4 Jahren zu einer Differenz zwischen Naturjahr und Kalenderjahr von schon 1 Tag, bis beide Kalender nach 1460 Jahren wieder übereinstimmten. Diese Abweichung wurde in pharaonistischer Zeit nie korrigiert, der Versuch der Einführung der Schaltung eines 6. Epagomenentages unter Ptolemaios III. mißlang und selbst nach der endgültigen Reform durch Augustus hielt man in den Tempeln noch lange am alten, ungeschalteten Kalender fest. Wohl die Macht der Priesterschaft verhinderte eine Kalenderreform, so wurden die Könige vor der Krönung gezwungen, einen Eid zu schwören, daß sie nicht versuchen werden Schalttage oder Monate einzuführen oder an dem althergebrachten Jahr von 365 Tagen etwas zu ändern.

Jeder Monat wurde in drei Perioden von je zehn Tagen zerlegt, denen insgesamt 36 Dekane zugeordnet waren. Listen dieser 36 Dekane (Sternbilder, Teile von Sternbildern oder einzelne helle Sterne) gibt es seit etwa 2100 v.Chr. (v.a. auf der Innenseite von Sargdeckeln, später auch an den Decken der Königsgräber). Die Morgensichtbarkeit eines Dekans teilte den Beginn einer neuen 10 Tage Woche mit, ferner konnte man mit Hilfe der Dekane ungefähr die Nachtstunden bestimmen. Genauere Stundenmessungen erlaubten bei Tag Sonnen-, bei Nacht Wasseruhren. Die Berechnung der Skalen für die Innenwand eines zylindrischen, nach unten verjüngten Gefäßes einer Wasseruhr erforderte mathematische Kenntnisse. Ein Fürst und Siegelbewahrer namens Amenemhet (um 1550 v. Chr.) berichtet in einer Inschrift, daß er eine derartige Wasseruhr erstmals berechnet und konstruiert habe. Er schreibt, er habe festgestellt, daß das Verhältnis der Länge der Winternacht zu der Sommernacht wie 14 zu 12 sei und daß die Nachtlänge von Monat zu Monat wechsle. Daraufhin habe er für Amenophis I. (herrschend 1555 – 1534 v. Chr.) eine Wasseruhr gebaut, die durch Berücksichtigung der verschiedenen Länge der Stunden und durch Verwendung nur eines Auslaufes die Stunde für jede Jahreszeit richtig angegeben habe.

Außer den Wasser- und Sonnenuhren besaßen die Ägypter noch die Sternuhren. Ihnen liegt die Erfahrung zugrunde, daß die Bewegung des Sternhimmels sich so regelmäßig vollzieht, daß man aus dem Aufgang und Untergang, besonders aber aus der Zeit des Höchststandes eines Sternes die Stunde der Nacht bestimmen könne.

Über die ägypt. Mathematik geben einige Lehrbücher Auskunft. Die Rechenoperationen sind weitgehend nach den Erfordernissen der Feldvermessung und des Monumentalbaus ausgerichtet. Einfache quadratische Gleichungen konnten sie lösen, ebenso den Inhalt von Flächen und Körpern berechnen. Glanzstück ist die Berechnung des Volumens des Pyramidenstumpfes und des Inhaltes des Kreises, wobei für PI der Wert 3,16 angesetzt wird.

Die Erfassung des Raumes im alten Ägypten

Ob die Ägypter durch Beobachten der Bewegungen von Sonne, Mond und Planeten die Bahnen dieser Körper festgestellt und versucht haben, den die Erde umgebenden Raum zu gliedern, ist ungewiß. Bei der Sonne unterschieden sie die tägliche Bewegung von der jährlichen, die sie mit den menschlichen Lebensaltern verglichen. Zur Winterwende ist sie ein Kind, zur Frühlingsgleiche Jüngling, zur Sommerwende ein bärtiger Mann und zur Herbstgleiche ein hinfälliger Greis. Der Durchmesser der Sonne wurde mit Hilfe der Wasseruhr gemessen, indem man die während des völligen Auftauchens der Sonnenscheibe über dem Horizont verflossene Zeit mit der während eines ganzen Tages verflossenen verglich. Die meisten Beobachtungen wurden sicherlich im Bereich der Tempel angestellt, wo die genaue Ortung der Altare, Obelisken und Pyramiden die Beobachtung der Auf- und Untergänge und der Mittagsstände erleichterte.

Die fünf Planeten waren bereits im 13. Jh. v. Chr. bekannt. Beim Mars war die Rückläufigkeit festgestellt. Wie Cicero mitteilt, bezeichneten die Ägypter Venus und Merkur als die Begleiter der Sonne. Inwieweit damit eine Umkreisung der Sonne gemeint war, läßt sich nicht ermitteln.

Sternglaube und Sterndeutung im alten Ägypten

Abgesehen von einzelnen Nachrichten sind es vor allem Himmelsbilder, die uns Kenntnisse über das astronomische Interesse der Ägypter aufzeigen. Sie finden sich in den Särgen des frühen Mittleren Reiches (um 2000 v. Chr.) und der Spätzeit (700 v. Chr) sowie an den Decken von „Totentempeln“ und Grabkammern des Neuen Reiches (um 1500 v. Chr.). Die wichtigsten Elemente dieser Darstellungen sind:

  1. Das Bild der Himmelsgöttin Nut, die sich, meist als Frau gestaltet, über die Erde neigt. An ihrem Leib leuchten die Sterne, ihre Kinder, die sie am Morgen im Westen verschlingt und am Abend aufs neue gebiert (siehe Abb. 2).
  2. Eine Liste der Dekangestirne, die zur Bestimmung der Nachtstunden dienten.
  3. Das Bild des südl. Sternbilds Orion, dessen Einzelsterne z.T. zu den Dekanen gehörten. Er wird als Riese, meist in einer Barke stehend dargestellt.
  4. Zu den Dekangestirnen zählt auch der Sirius, der hellste Fixstern, der mit seinem Frühaufgang im Juli die Überschwemmung des Nils ankündigte und das Ackerbaujahr einleitete.
  5. Die fünf Planeten, die mind. seit ung. 2000 v. Chr. unterschieden wurden. Auch sie werden meist als Götter gebildet, die in Barken den Himmel überfahren.
  6. Die Sternbilder des Nordhimmels. In ihrem Mittelpunkt steht das des Großen Bären. Ursprünglich als Gerät zur Mundöffnung aufgefaßt, erscheint es später als Rinderschenkel, bisweilen personifiziert mit Stierkopf. Die übrigen, z.T. mit ihm verbundenen Bilder lassen sich nicht mehr identifizieren. Die wichtigsten sind: ein Nilpferdweibchen, ein falkenköpfiger, harpunierender Gott, ein Skorpion, ein Krokodil mit gestrecktem und eines mit eingeschlagenem Schwanz, ein Löwe u.a. (siehe Abb. 3).
  7. Neben diesen Sternbildern steht oft noch eine Reihe von Gottheiten, die wohl urspr. Tage des Mondmonats bezeichneten. Zu den 36 Dekanen treten noch Sterngötter mit Phantasienamen. Während die Dekane auf einem bestimmten Gürtel des Himmels beiderseits der Ekliptik gesucht werden müssen und zu den Sternen gehören, „die keine Ermüdung kennen“, werden die Circumpolarsterne, zu denen nur ein Teil der abgebildeten Konstellationen zu rechnen ist, als Sterne bezeichnet, „die keinen Untergang kennen“.
  8. Erst seit ptol. Zeit (3. Jh. v. Chr.) gehören zu den Himmelsbildern die 12 Figuren des Tierkreises (Zodiakos).
  9. Herr des Himmels ist seit ältester Zeit die Sonne, die als Falkengott Harachte den Himmel in einer Barke überquert, mit der sie nachts durch die Unterwelt wieder nach Osten zurückkehrt. Trotz ihrer zentralen Stellung in der Religion blieb sie außerhalb astronom. Beobachtung; erst aus dem Jahr 610 v. Chr. ist uns eine Sonnenfinsternis überliefert.

Gelehrte und Unterricht im alten Ägypten

Im Alten Ägypten obliegt den Priestern nicht nur die Ausübung des Kultes, sondern auch die Pflege des Wissens und das Ausbildungswesen. Schon der erste Ptolemaios (305 – 283 v.Chr.) hatte in Alexandria die große Bibliothek und das „Museion“ gegründet, eine Art Akademie der Wissenschaften, an die er bedeutende Gelehrte und Dichter aus dem griechischen Kulturkreis berief. Die Vorsteher der Bibliothek waren auch Erzieher der Prinzen und Thronfolger. Die Gelehrten, die im Museion lebten, erhielten vom König ein hohes Gehalt, freie Kost und Dienstboten und konnten sich ganz ihren Wissenschaften widmen. Sie beschäftigten sich sowohl mit griechischer Literatur, als auch mit Geschichte, Geographie und besonders mit Naturwissenschaften: Mathematik, Astronomie, Physik und Medizin. Unter dem Einfluß des Aristoteles und seiner Schüler, welche die noch heute verbindlichen strengen Maßstäbe wissenschaftlicher Methode zuerst entwickelt haben, wurden in Alexandria die Grundlagen der meisten heutigen Wissenschaften gelegt.

In der Bibliothek von Alexandria lagerten über 700 000 Manuskripte der größten Gelehrten des Altertums. Darunter befindet sich auch die 30bändige „Geschichte Ägyptens“, die der ägyptische Priester Manetho im Auftrag von Ptolemaios I. verfaßt hat. Dieses Werk ist die wichtigste Quelle für die Geschichtswissenschaftler der Antike über die Zeit der Pharaonen.

Im Jahr 47 v. Chr. jedoch gerät die Bibliothek in Brand, als Cäsar seine Herrschaft über die Stadt mit Waffengewalt erzwingt. Dabei gehen die meisten der Manuskripte verloren.

Vor der Erfindung des Buchdrucks existiert zunächst nur je ein Exemplar eines Werkes, von dem dann von Hand Abschriften angefertigt werden. Von Büchern, die für wichtig gehalten und viel gelesen werden, gibt es meist sogar eine ganze Reihe von Kopien, die in verschiedenen Bibliotheken liegen. So wird auch eine Kopie von Manethos bedeutendem Werk, der „Geschichte Ägyptens“ gerettet, weil sie in der Bibliothek des Serapistempels in Alexandria aufbewahrt worden ist.

Viele Autoren der klassischen Antike und des frühen Christentums arbeiten mit dem Werk Manethos. Insbesondere die Schriftgelehrten der Urkirche ziehen es immer wieder heran, um die geschichtliche Wahrheit des Alten Testaments zu beweisen. Ihnen verdanken wir, was wir heute noch aus dem Werk Manethos kennen, denn die letzte Abschrift der „Geschichte Ägyptens“ verbrennt zusammen mit dem Serapistempel in Alexandria im Jahr 391 n. Chr.

Zum Schluß noch kurz die bedeutendsten Wissenschaftler der ägytischen Geschichte in zeitl. Reihenfolge:

  1. Imhotep (um 2700 v. Chr., er ist der erste namentlich bekannte Mensch, den wir heute als Wissenschaftler bezeichnen würden. Zwei Jahrtausende gab es keinen (bekannten) anderen. Er soll der Architekt der Stufenpyramide von Sakkara gewesen sein.)
  2. Ahmose (um 1650 v.Chr., der Name befindet sich auf einem Papyrus, welche Mitte des 19. Jahrhunderts gefunden wurde, wahrscheinlich war Ahmose der Kopist dieser Schriftstücke. Der Papyrus enthält durchgerechnete mathematische Aufgaben.)
  3. Ktesibios (um 300 v.Chr., er begründete in Alexandria die Tradition der Maschinenbaukunst. So erfand er die Wasserorgel, die Kolbenpunpe und ein Druckluft-Katapult und er verbesserte die Wasseruhr.
  4. Sosigenes (um 100 v.Chr., auf seinen Rat führte Cäsar den Julianischen Kalender in Ägypten ein, er war auch der Meinung, der Merkur bewege sich um die Sonne.)

Desweiteren haben viele uns bekannte griechische und babylonische Wissenschaftler nicht unbedeutende Zeit in Ägypten gelebt und gearbeitet. Zu ihnen gehören u.a. Thales v. Milet (624 – 546 v.Chr.), Pythagoras (580 – 500 v.Chr.), Hekataios (550 – 476 v.Chr.), Demokrit (470 – 380 v.Chr.), Hippokrates (460 – 370 v.Chr.), Platon (427 – 347 v.Chr.) und viele andere.

Es gäbe noch viel zu schreiben über das astronomische Wissen der Ägypter, besonders über Sternglaube und Sterndeutung. Doch für diesmal muß es genug sein. Nicht nur die Ägypter befaßten sich mit Astronomie, auch die Babylonier, die im 3. Teil der Serie ein wenig beleuchtet werden sollen, sind seit langer Zeit an den Naturwissenschaften interessiert.

Autor: Dieter Meyer

 

Literaturhinweise

Asimov I.: Biographische Enzyklopädie der Naturwissenschaften und der Technik
Ley W.: Die Himmelskunde
Vercoutter J.: Ägypten – Entdeckung einer alten Welt
Wußing H.: Geschichte d. Naturwissenschaft
Zinner E.: Geschichte der Sternkunde
Lexikon d. Geschichte d. Naturwissenschaft
Schriftenreihe der staatl. Museen zu Berlin (ägyptisches Museum)

Bildnachweise

Abb. 1: v. Littrow: Die Wunder des Himmels, Berlin 1910
Abb. 2 u. 3: Zinner E.: Geschichte der Sternkunde

„Der Monat Adaru wird 30 Tage haben. Am 15. Tage wurden Sonne und Mond miteinander gesehen. Am 13. Tage und in der Nacht zum 14. Adaru veranstalteten wir eine Beobachtung. Doch fand keine Finsternis statt. Siebenmal bin ich aufgestanden. Aber keine Finsternis fand statt. Den entscheidenden Bericht werde ich dem König noch senden. Was die Sonnenfinsternis betrifft, von der mein König gesprochen hat, so ist sie nicht eingetreten. Am 27. werde ich wieder Ausschau halten und berichten.“

Dieser Bericht war von Balasi an den König Asarhaddon, der von 681 – 669 v. Chr. herrschte, gerichtet.

 

Babylon, Land zwischen Euphrat und Tigris

Eine genaue Bezeichnung für das „Zweistromland“ läßt sich eigentlich nicht treffen. Im Zweistromland rangen verschiedene Völker um die Herrschaft. Die ältesten Bewohner waren die Sumerer. Die Kenntnis der Planeten, die Deutung der himmlischen Vorgänge und die Anfänge der Zeitrechnung sind ihnen zuzuschreiben. Im 3. Jahrtausend v. Chr. dringen in das von ihnen bewohnte Gebiet, Addad und Sumer genannt, Semiten als Sieger ein. Babylon wird zu mächtigen Stadt, deren Herrscherhäuser seit dem 22. Jahrhundert v. Chr. zählen. Am Ende des 2. Jahrtausends beginnen die Kämpfe mit dem aufstrebenden Assur um die Herrschaft. Im letzten Jahrtausend v. Chr. ist Babylon meistens die Beute der Assyrer, Chalder oder Perser und wird im 3. Jahrhundert v. Chr. endgültig zerstört. Sein berühmter Tempel bleibt aber bestehen. Die Wissenschaft wird dort, wie auch in den babylonischen Städten Uruk, Sippar und Borsippa noch bis zu Christi Geburt gepflegt, so daß man mit Recht die Babylonier als die Träger der im Zweistromland blühenden Sternkunde ansehen kann.

Das Zweistromland läßt sich mit Ägypten vergleichen. Auch hier bietet die lang andauernde Wolkenlosigkeit günstige Beobachtungsbedingungen. Auch hier führen die Ströme Euphrat und Tigris im Frühjahr große Wassermengen und geben Gelegenheit zur Fruchtbarmachung des Landes und damit ein bequemes Mittel zur Zeitteilung. Auch hier war eine uralte Kultur vorhanden, der Nährboden der Wissenschaft und Kunst.

Unter den Herrschern des Landes sind keine so berühmten Namen, wie wir sie aus der Geschichte Ägyptens kennen, trotzdem sollen hier wieder ein paar bedeutende vorgestellt werden.

  • König Hammurapi, 1792 – 1750 v. Chr. (wohl bedeutendster Herrscher der sog. altbabylonischen Periode, vereinigte das Gebiet zwischen Persischem Golf und syrischer Wüste)
  • König Tiglatpileser III., 744 – 727 v. Chr.;
  • König Aschurbanipal, 668 – 626 v. Chr. (sehr gebildeter Herrscher, schafft die bedeutendste Bibliothek des Alten Orients in Ninive mit einst etwa 5000 Keilschrifttafeln);
  • König Nabopolassar, 625 – 605 v. Chr. ;
  • König Nebukadnezar II., 604 – 562 v. Chr. (gewaltige Bautätigkeit in der Stadt Babylon, wie der „Turm zu Babel“, die „Hängenden Gärten der Semiramis“, das „Ischtar-Tor“ und die Prozessionsstraße).

Die Erfassung der Zeit im Zweistromland

Wie bei fast allen Kulturen der Erde diente zur Zeiteinteilung in erster Linie der Mondwechsel. Sorgfältig wurde er beobachtet und besondere Aufmerksamkeit dem Erscheinen des Neulichtes, des neuen Mondes, gewidmet. Die Zwischenzeit von einem Neulicht bis zum nächsten ließ sich aus den Beobachtungen zu rund 30 Tagen bestimmen und dies ist auch die Zahl, die dem Mondgott Sin zugelegt wird. Somit wurde auch das Jahr in 12 Monate zu je 30 Tagen eingeteilt. Ähnlich wie bei den Ägyptern wurden wahrscheinlich am Ende eines Jahres fünf zusätzliche Tage angehängt, wovon uns ein fünftägiges Fest zeugt.

Wie schon in der vorigen Ausgabe erwähnt, reicht aber die Einteilung in ein 365 tägiges Jahr nicht aus, um einen genauen Kalender zu bestimmen. Im Gegensatz zu den Ägyptern, welche die Abweichung zu einem vollen Jahr von 365 1/4 Tagen nicht korrigierten, wurde bei den Babyloniern von Zeit zu Zeit ein 13. Monat eingeschaltet. Der Zeitpunkt dazu wurde durch die Beobachtung der Jahreszeitlichen Vorgänge gefunden. Sicherlich geschah dies nur sehr willkürlich, da solche Vorgänge wie Überschwemmungen nicht immer den Tag einhalten. Ein Fortschritt scheint erst zur Zeit des ersten Herrscherhauses von Babylon, von 2168 – 1868 v. Chr. eingetreten zu sein, als man lernte aus der Beobachtung des Himmels den Zeitpunkt für eine neue Schaltung zu bestimmen. War eine Schaltung notwendig geworden, so gab der König dies seinen Untertanen bekannt. Eingeschaltet wurde der Schaltmonat hinter dem 12. Monat Adaru oder hinter dem 6. Monat Ululul. Eine feste Regel der Einschaltung gab es nicht. Erst ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. läßt sich eine Regel erkennen, die besagt, daß 8 Jahre 99 Monate haben sollen, oder anders ausgedrückt in 8 Jahren sind 3 Monaten einzuschalten. Später (nach 380 v. Chr.) wurde eine genauere Schaltregel in Gebrauch genommen, nach der in 19 Jahren 7 Schaltmonate eingefügt wurden. Diese Regelung ergab, daß ein mittleres Jahr nur noch um 0,00463 Tage größer als ein Naturjahr war.

Die Jahre wurden nicht durchlaufend gezählt, sondern orientierten sich (wie bei anderen Völkern auch) an auffallenden Ereignissen im religiösen oder kriegerischen Leben oder einer Tronbesteigung.

Die Monate zählten 29 oder 30 Tage. Ein neuer Monat beginnt, sobald das Neulicht beobachtet worden ist. „Am 1. wurde der Mond gesehen; damit steht der Beginn des Monates Duzu fest“ berichtet ein Sternkundiger an den König.

Als Unterteilung der Monate lassen sich Wochen feststellen. Für geschäftliche Zwecke bediente man sich einer Woche zu 5 Tagen, im religiösen Leben läßt sich, wenigstens für die jüngere assyrische Zeit, eine Woche zu 7 Tagen nachweisen.

Der Tag begann mit Sonnenuntergang, was aus der Gewohnheit, den Beginn des Monates von der Sichtbarkeit des Neulichtes am Abend zu bestimmen, sich herleitet. Für die sternkundlichen Rechnungen wurde der Tag häufig von Mitternacht an gerechnet. Ferner gibt es eine noch im 17. Jahrhundert n. Chr. als babylonisch bekannte Stundenzählung. Die Messung der Zeit geschah anscheinend mit Wasseruhren und zwar Einlaufuhren, deren Gebrauch durch die Babylonier vielfach bezeugt ist. Die Eichung des Gefäßes erfolgte in der Weise, daß die von dem Aufgang eines Hellen Sternes bis zu seinem nächsten Aufgang gemessene Wassermenge in 12 gleiche Teile geteilt und entsprechende Marken im Gefäß angebracht wurden, an denen man 12 Doppelstunden ablas. Also war die Rechnung nach gleichlangen Stunden in Babylon gebräuchlich. Außer den Wasseruhren gab es Sonnenuhren. Gemäß den Angaben des Herodot haben die Griechen die waagerechte Sonnenuhr mit senkrechtem Schattenstab, den Gnomon, und die kugelförmige Hohlsonnenuhr mit senkrechtem Schattenstab, den Polos, von den Babylonieren übernommen. Diese im Altertum sehr verbreiteten Sonnenuhren zeigten durch die Lage des Schattenpunktes der Spitze die ungleichlangen Stunden an. Die waagerechte Sonnenuhr wird sich aus der Beobachtung des Schattenwurfes von aufgestellten Säulen auf der Ebene ergeben haben. Die kugelförmige dagegen stellt eine elegante Lösung vor: derselbe Grundgedanke, aber als Schattenebene nicht die waagerechte Ebene, sondern die Innenfläche der Kugel als Abbild des Himmels!

Einige Historiker glauben, daß sich wahrscheinlich ein großer Teil des mathematischen Wissens der Alten Welt, die von Rom bis nach China reichte, von Mesopotamien aus verbreitete. Das mesopotamische System war sowohl auf der Basis 60 wie auch 10 aufgebaut, so daß die Gelehrten diese Einteilung durch mehrere verschiedene Sprachen hindurch verfolgen können. Die bemerkenswertesten Nachwirkungen dieses Systems sind heute die Einteilung in Stunden, Minuten und Sekunden in der Zeitangabe und die Einteilung in Grade, Minuten und Sekunden für Winkelmessungen.

Mesopotamische Mathematiker waren in Algebra die geschicktesten der gesamten Antike. Sie waren in der Lage, jede quadratische Gleichung und zahlreiche kubische Gleichungen zu lösen.

Erfassung des Raumes im Zweistromland

Bei der Beobachtung der himmlischen Vorgänge wurde zuerst alles auf den Erdboden als Bezugsebene bezogen. Die 4 Himmelsrichtungen dienten zur Einteilung der Erdscheibe in die bewohnten 4 Viertel.

Die Örter der Sterne wurden auf den Äquator bezogen, indem man den Himmel symmetrisch zu diesem in drei Wege teilte, einen mittleren, der dem Gott Anu gehörte, und je einen nördlich und südlich davon für die Götter Enlil und Ea. So stand z.B. die Sonne im Frühling und Herbst im Anuweg, im Sommer im Enlilweg und im Winter im Eaweg, womit die Erkenntnis gegeben war, daß sie sich am Himmel längs eines zu Äquator geneigten Kreises bewegte, eben der Ekliptik, deren Einteilung in Sternbilder und Bezeichnung als Tierkreis jedoch erst später erfolgte.

Neben der Bewegung der Sonne und des Mondes wurden auch die Planeten beobachtet.

Während sich die Aufmerksamkeit der Priester von Altbabylonien ausschließlich auf die Venus konzentrierte, kannten die Assyrer alle mit unbewaffnetem Auge sichtbaren Planeten. Überliefert ist uns eine aus der Regierungszeit des Amizaduga um die Mitte des zweiten Jahrtausends stammende Venustafel, eine über 21 Jahre fortgesetzte Sammlung von Beobachtungen der heliakischen Auf- und Untergänge des Planeten Venus, der auch bei den Babyloniern mit der Liebesgöttin Ishtar identifiziert, besondere Verehrung genoß (siehe Abb. 2). Wie aus den Aufzeichnungen hervorgeht, hatte man damals schon erkannt, daß Morgen- und Abendstern Erscheinungen desselben Gestirns sind. Der Inhalt der Venustafel ist, so möchte man sogen, protoastrologischer Natur. Die Tafel besagt u.a., daß beim Erscheinen der Venus „der Himmel schwer von Regen ist“. Dann ist der Planet drei Monate abwesend, und nach seiner Rückkehr „wird Feindschaft das Land heimsuchen, und die Ernte wird gedeihen“.

Auch andere Vorhersagen wurden versucht, so z.B. „Wenn der Gott Nergal (Mars) beim Verschwinden kleiner wird… wird er Gnade walten lassen über Akkad“. „Wenn der Mars trübe ist, bedeutet das Glück, wenn er hell ist, bedeutet das Unglück“.

Die größte Mühe verwendeten die Babylonier auf die Erforschung der Mondbewegung, um das Erscheinen des Neulichtes und die Finsternisse richtig vorherzusagen. Es lag nahe, in den so auffälligen und dabei so unregelmäßigen Finsternissen besondere Bedeutung zu sehen. Man sah in Ihnen ursprünglich keine mit der Stellung des Mondes zur Sonne zusammenhängende Erscheinung, sondern suchte den Eintritt einer Finsternis aus anderen Anzeichen zu erschließen. So lautet ein Bericht des Hofsternsehers an den König: „Ist der Mond von einem Ring umgeben, so wird eine Finsternis eintreten. Diese Nacht war der Mond von einem geschlossenen Ring umgeben“.

Derartige Voraussagen sind, wie wir heute wissen, höchst unzutreffend. Aber mit zunehmender Beobachtung gelang es, Zusammenhänge zu erkennen. So z.B. daß eine Mondfinsternis nur bei Vollmond eintreten kann, eine Sonnenfinsternis dagegen nur bei Neumond. Lange Beobachtungsreihen zeigten auch, daß sich eine Finsternis nach einer Reihe von Jahren unter den selben Umständen wiederholte. Im 5. Jahrhundert war eine Periode von 684 Jahren bekannt, aber wohl nur kurze Zeit im Gebrauch.

Die nächsten Bestrebungen galten der Auffindung einer Periode, welche eine Beziehung zwischen den Sonnenumläufen, den Mondwechseln, den Drachenmonaten, wodurch die Wanderung der Knotenlinie der Mondbahn auf dem Tierkreis Berücksichtigung findet, und anomalistischen Monaten, wodurch die Änderung der Geschwindigkeit des Mondes in seiner Bahn berücksichtigt wird, darstellt. Diese Periode, Saros genannt, entsprach 6585 1/3 Tagen = 223 Mondwechseln = 239 anomalist. Monaten = 242 Drachenmonaten = 18 Sonnenumläufen + 10 2/3 Grad. Dieser Saroszyklus eignete sich immerhin zum Vorhersagen von Finsternissen.

Sternglaube und Sterndeutung im Zweistromland

Die Chaldäer erstellten Kataloge der Sternbilder und ihrer relativen Örter. Als es endlich gelungen war, ihre Schriften zu entziffern, war man beim ersten flüchtigen Blick erstaunt, daß so zahlreiche ihrer Sternbilder die gleichen Namen trugen wie die unseren, z.B. Stier (Taurus), Zwillinge (Gemini), König (Regulus), Skorpion, Schütze (Sagittarius) usw. Die Beibehaltung der Namen beruht darauf, daß die Griechen sie von den Chaldäern übernahmen und an die Nachwelt weitergaben. Selbstverständlich hatten die Chaldäer auch Namen, die uns nicht überkommen sind. Ebenso umfaßten die Sternbilder, deren Namen auch heute noch gebräuchlich sind, nicht die gleiche Anzahl von Himmelskörpern wie unsere Sternbilder. Allem Anschein nach waren die Chaldäer der Ansicht, daß der Horizont die Himmelskugel in zwei Hälften aufteilte, denn sie notierten das Verhalten von „oppositionellen Sternen“. Wenn Aldebaran aufgeht, geht Arkturus unter; wenn die Plejaden aufgehen, geht der Skorpion unter usw.

Darstellungen der Sternbilder haben sich auf verschiedene Arten erhalten, so z.B. auf Grenzsteinen vom 13. Jahrhundert v. Chr. auf denen außer Sonne, Mond und Venus auch einige Sternbilder des Tierkreises erscheinen, wie Skorpion, Schütze oder Steinbock. Ferner gibt es eine Darstellung des Sternhimmels mit den Figuren der Sternbilder auf einer runden, in Ninive gefundenen Tontafel, die sehr schlecht erhalten ist. Sie diente wohl der Sterndeutung (siehe Abb. 3).

Auch die Farben der Sterne beachteten die Babylonier. Sie bestimmten die Farben nach der Farbe der Planeten.

Der Sternglaube ist der Vater der babylonischen Sternforschung. Er führt zur Sterndeutung und diese mußte die Sternforschung hervorrufen. Der Sternglaube war bedingt durch den Götterglauben. Die wichtigsten Götter waren mit den Himmelserscheinungen verbunden. In der sumerischen Zeit war der höchste Gott Anu, der Herr des Himmels. In späterer Zeit wurde seine Herrschertätigkeit auf den Äquator beschränkt. Neben ihm herrschten Ea, Herr des Wassers, und Enlil, Herr der Erde, denen in späterer Zeit die nördlich und südlich vom Äquator liegenden Gegenden des Himmels zugeteilt wurden. Ein anderer bedeutender Gott war der Mondgott Sin. Auch den Planeten wurden verschiedene Gottheiten zugeordnet, deren Erwähnung und Bedeutung aber den Rahmen dieser Abhandlung sprengen würde.

Gelehrte und Unterricht im Zweistromland

Die frühesten Sammler astronomischer Daten waren die Assyrer. Es ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, daß uns unvollständige Aufzeichnungen hier auf falsche Wege führen. Zumindest aber stehen uns in Form der Bibliothek des assyrischen Königs Aschurbanipal (668 – 626 v. Chr.) Informationsquellen aus Assyrien zur Verfügung. Eine der Gründe, weshalb Aschurbanipals Bibliothek von so eminenter Bedeutung ist, ist das starke Geschichtsbewußtsein dieses Königs. Als er den Befehl gab, in seinem Palast eine Bibliothek einzurichten, ordnete er gleichzeitig an, daß die Schriften der Tempel und Stätten Altbabyloniens abgeschrieben und in die Bibliothek aufgenommen wurden.

Die Sternkunde lag in der Hand der Priesterschaft. Selbst Berossos, der Übermittler babylonischer Geschichte und Sterndeutung an die Griechen, war Priester des Marduk in Babylon. Die Sternkunde bestand in Beobachtung, Verarbeitung der Beobachtungen und Deutung der beobachteten oder berechneten Himmelsvorgänge.

Ursprünglich bestand zwischen Sterndeutern und Sternforschern kein Unterschied. Später scheint eine Trennung eingetreten zu sein, da gemäß einer griechischen Mitteilung nur wenige babylonische Sternkundige sich mit der Sterndeutung befaßten. Berossos lehrte auf der Insel Kos, um 280 v. Chr., den Griechen babylonische Sternkunde einschließlich Sterndeutung. Die ersten Griechen, welche die babylonische Sternkunde lernten, waren Epigenes, Apollonios von Myndos und Artemidoros. Um Christi Geburt schließlich waren die Chaldäer von Babylon und Mathematiker, wie die babylonischen Sterndeuter genannt wurden, im römischen Reich weit verbreitet.

Der Unterricht erfolgte wohl in den Tempelschulen. Im Altertum waren die Schulen zu Babylon, Uruk, Sippar und Borsippa bekannt, deren Tätigkeit sich in den Keilschrifttafeln noch nachweisen läßt. Die Beobachtungen wurden vermutlich auf der Spitze des mit dem Tempel verbundenen Turmes angestellt. Tempel, von denen aus die Himmelsvorgänge beobachtet wurden, gab es in Akkad, Arbela, Assur, Babylon, Borsipa, Karsagkelama, Ninive, Nippur, Sippar und Uruk.

Die bekannteste Schule war die zu Babylon, die im Tempel Esagilla ihren Sitz und in dem dazugehörigen 91 m hohen Tempelturm ihren Beobachtungsturm hatte (siehe Abb. 4).

Auch heute gäbe es noch viel mehr über die Sternkunde der Babylonier zu erwähnen, doch leider muß ich hier wieder Schluß machen. Ich möchte Sie aber einladen zu meinen gleichnamigen Freitagabendvorträgen auf der Sternwarte in Diedorf, bei denen ich ein klein wenig ausführlicher die Thematik besprechen kann.

Autor: Dieter Meyer

 

Literaturhinweise

Asimov I.: Biographische Enzyklopädie der Naturwissenschaften und der Technik
Becker F.: Geschichte der Astronomie
Hellemans A.: Fahrplan der Naturwissenschaften
Ley W.: Die Himmelskunde
Wußing H.: Geschichte der Naturwissenschaft
Zinner E.: Geschichte der Sternkunde
Lexikon der Geschichte der Naturwissenschaft
Schriftenreihe der staatlichen Museen zu Berlin (Vorderasiatisches Museum)

Bildnachweise

Abb. 1: Schriftenreihe der staatlichen Museen zu Berlin (Vorderasiatischen Museum)
Abb. 2: Becker F.: Geschichte der Astronomie
Abb. 3 + 4: Zinner E.: Geschichte der Sternkunde

Abb. 1, die an einen Felsen gekettete Andromeda aus BODES Uranographia

Andromeda war die Tochter des Königs Kepheus von Äthiopien und der Königin Kassiopeia. Andromedas Unglück begann am Tag, als ihre Mutter sich rühmte, schöner zu sein als die Nereiden, eine besonders verführerische Schar von Meeresnymphen. Die beleidigten Nereiden baten daraufhin den Meeresgott Poseidon, sie zu bestrafen. Dieser schickte dann ein Ungeheuer, das die Küste des Landes von König Kepheus verwüstete. Der König befragte in seiner Not das Orakel von Ammon und erhielt die Antwort, er müsse seine jungfräuliche Tochter opfern, um das Ungeheuer zu besänftigen. Andromeda wurde deshalb an einen Felsen gekettet, und dem Walfisch zum Fraß überlassen. Als Andromeda so an dem Felsen stand, kam der Held Perseus vorbei, der soeben bei einem Abenteuer der Medusa das Haupt abgeschlagen hatte, und sah die weinende Andromeda. Er tötete daraufhin das Ungeheuer, kettete Andromeda vom Felsen los und nahm sie zu seiner Braut die ihm später sechs Kinder gebar.

Diese Geschichte ist die wohl berühmteste Sternbildsage der griechischen Mythen und erklärt das Vorhandensein gleich mehrerer Sternbilder.

 

Griechenland, Land der Philosophen

Die Geschichte Griechenlandes geht ungefähr bis ins Jahr 2000 v. Chr. zurück. Im allgemeinen nimmt man an, daß ein kriegerisches Volk in mehreren Schüben aus dem Norden oder aus Westasien kam und in Griechenland eindrang. Es entwickelte sich rasch zu einem Volk von Seefahrern und Kaufleuten. Möglicherweise bestimmte sie gerade dieser Gesichtspunkt als erste dazu, Wissenschaft in der Form zu treiben, wie wir sie heute kennen. Da die Navigation wichtig war, entwickelten die Griechen ein geschärftes Bewußtsein für den Raum und einen Sinn für Geometrie. Insbesondere die ionischen Griechen, die sich an der Küste Kleinasiens ansiedelten, waren für die Entstehung der Wissenschaft verantwortlich. Die Astronomie entstand ungefähr 600 v. unserer Zeitrechnung. Damit ist die Sternkunde auf jeden Fall jünger als die der Ägypter oder Babylonier.

überhaupt übernahmen die Griechen viele Grundlagen, die für die Erforschung des Kosmos nötig waren von anderen Kulturen. Im Gegensatz zu diesen führten Sie die Entwicklung dieser Wissenschaft aber weiter, während in anderen Kulturen die Naturwissenschaften irgendwann stehen blieben und sogar in Vergessenheit gerieten. Zusätzlich sind uns von den Griechen im Gegensatz zu den anderen Kulturen, noch viel mehr Zeugnisse überliefert, die uns Aufschluß über die wissenschaftliche Tätigkeiten geben. Untrennbar mit der Astronomie der Griechen verbunden, und besser bekannt als die verschiedenen Könige des Landes, sind die Namen der Philosophen und Naturwissenschaftler wie z.B. Thales v. Milet, Anaximander, Anaximenes, Pythagoras, Empedokles, Anaxagoras, Sokrates und nicht zu vergessen natürlich Aristoteles. Auf die ich im Laufe dieses Artikels noch näher eingehen will.

Um das 6. Jahrhundert v. Chr. begannen die ersten ionischen Philosophen Thales, Anaximander und Anaximenes über die Natur nachzudenken. Die griechische Wissenschaft führte zwar die von den Ägyptern und Babyloniern entwickelten Ideen und Praktiken weiter, aber dennoch waren die Griechen die ersten, die über ihre Beobachtungen hinaus nach allgemeinen Prinzipien suchten. Wissenschaft vor den Griechen bestand hauptsächlich aus dem Sammeln von Beobachtungen und Vorschriften für die praktische Anwendung. Spekulative Philosophie war das neue Element im griechischen Denken. Die Griechen lösten sich von Beobachtungen und versuchten allgemeine Theorien aufzustellen, die das Universum erklären sollten. Die Suche der griechischen Philosophen nach Erkenntnis war nicht durch die Religion oder einen praktischen Verwendungszweck begründet. Sie beruhte ausschließlich auf dem Wunsch zu erkennen und zu verstehen. Die Griechen führten als erste eine wissenschaftliche Methode ein, die sich auf logisches Denken und Beobachtung und nicht auf systematische Versuche stützte. Natürlich gab es auch Versuche wie z.B. Pythagoras, der ca. 550 v. Chr. mit Saiten experimentiert haben soll, um die Veränderungen in der Tonhöhe bei verschiedenen Saitenlängen zu untersuchen. Empedokles (ca. 450 v. Chr.) soll bewiesen haben, daß Luft Materie ist, indem er ein Rohr, das an einem Ende geschlossen war, in Wasser eintauchte.

Die Griechen errichteten in vielen anderen Ländern Kolonien, und wurden dort mit verschiedenen Ansichten und Erklärungen für Naturerscheinungen konfrontiert, so daß sie ihren eigenen Glauben und ihre eigene Mythen laufend in Frage stellten. Weiter besaßen die Griechen keine straff organisierte Priesterschaft oder eine festgefügte religiöse Hierarchie. Während die Wissenschaft in Babylonien und Ägypten hauptsächlich in den Händen der Priester lag, wurde sie in Griechenland zu einer weltlichen Bestrebung.

Die Griechen waren ein seefahrendes Volk mit einer dezentralisierten Wirtschaft, das in Stadtstaaten lebte, die weitgehend von Bürgern der Oberschicht regiert wurden. Dies führte zu einer Freiheit des Wortes und des Denkens, philosophische Ideen konnten frei erörtert werden.

Die Erfassung der Zeit

Das griechische Jahr begann im Sommer, dessen Anfang durch den Frühaufgang der Plejaden angezeigt wurde. Seit dem 6. vorchristlichen Jahrhundert wurden Sonnenwenden beobachtet mit Hilfe des Schattens auffallend geformter Bergspitzen, wie des Ida, Lykabettos und Lepetymnos. Ein von Anaximander um 560 v. Chr. aufgestellter Stab in Sparta soll die Zeiten der Wenden und Nachtgleichen angegeben haben.

Ebenso wie bei den Babyloniern führten auch die Griechen verschiedene Schaltregeln ein, jedoch erst nachdem sie in Babylon in Gebrauch waren, was darauf schließen läßt, daß sie diese von ihnen übernommen haben. Zuerst läßt sich eine Regel erkennen, die besagt, daß 8 Jahre 99 Monate haben sollen, oder anders ausgedrückt in 8 Jahren sind 3 Monate einzuschalten. Später (nach 380 v. Chr.) wurde eine genauere Schaltregel in Gebrauch genommen, nach der in 19 Jahren 7 Schaltmonate eingefügt wurden. Diese Regelung ergab, daß ein mittleres Jahr nur noch um 0,00463 Tage größer als ein Naturjahr war.

Die Zählung der Jahre erfolgte nach den Regierungszeiten der Könige oder nach den Amtsjahren der höchsten Beamten in Athen und Sparta. Die Zählung geht in Athen bis ins 11. Jahrhundert zurück.

Aber die Griechen waren weniger praktisch veranlagt, so daß ihre frühen astronomischen Beobachtungen ungenauer als die der mesopotamischen Astronomen waren. Das fehlende Interesse an genauen Beobachtungen spiegelte sich im chaotischen Zustand des Kalenders wieder. Jede griechische Stadt hatte eine andere Zeitrechnung (siehe Abb. 2, griechische Kalendertafel).

Zur Gleichsetzung bediente man sich seit dem 3. Jahrhundert der Rechnung nach den olympischen Spielen, die alle 4 Jahre stattfanden und deren Sieger vom Jahre 776 v. Chr. an öffentlich aufgezeichnet sein sollen. In späterer Zeit wurden die Jahre von dem Regierungsantritt des Philippos Arrhidaios, des Nachfolgers Alexanders des Großen, an gezählt, beginnend mit dem 12. November 324 v. Chr.

Wie schon beschrieben beginnt das Jahr im Sommer, genauer mit der Sonnenwende und wurde anscheinend schon zu Homers Zeiten in die 4 Jahreszeiten geteilt, wobei allerdings Sommer und Winter als die Zeiten der Ernte und der Ackerbestellung den Vorrang hatten. Der Eintritt des Jahreszeiten wurde durch die jährlichen Frühaufgänge bestimmt, wobei die Plejaden die Hauptrolle spielten.

Sirius galt als Ankünder der Fruchtlese. Wegen der Wichtigkeit der jährlichen Auf- und Untergänge enthielten die Kalender zahlreiche Angaben über solche Himmelsvorgänge.

Tag und Nacht wurden in je 12 ungleichlange Stunden eingeteilt. In ältester Zeit begann der Tag abends, dann um Mitternacht oder sogar gegen Sonnenaufgang. Zur Zeitteilung wurden Sonnenuhren, wie auch Wasseruhren verwendet. Die grundlegenden Formen der Sonnenuhr, die waagerechte Sonnenuhr, wie auch die Hohlsonnenuhr wurde von den Babyloniern übernommen.

Wie schon in der letzten Ausgabe erwähnt, wurden auch die Wasseruhren von den Babyloniern übernommen. Die Griechen kannten sowohl die Auslaufuhr, wie auch die Einlaufuhr. Abb. 2 zeigt eine Einlaufuhr nach Ktesibios (ca. 200 v. chr.). oder die Weckuhr des Platon (ca. 400 v. chr.), welche seine Schüler zur morgendlichen Arbeit wecken sollte. Da ihr derselbe Gedanke wie den Orgelpfeifen zugrunde liegen soll, ist anzunehmen, daß das einlaufende Wasser bei einer bestimmten Höhe in ein anderes Gefäß floß, dabei den rückwärtigen Luftabfluß verstopfte, die eingeschlossene Luft durch eine Pfeife zu entweichen und dabei einen Pfiff auszustoßen zwang.

Erfassung des Raumes im antiken Griechenland

Zur Zeit Homers zeigte die Weltkarte eine Festlandmasse, die aus Teilen Asiens, Afrikas und Europas bestand und von einer gewaltigen Wasserfläche, dem Okeanos, umgeben war. Herodot (ca. 420 v. Chr.) jedoch hatte das Gefühl, daß die Welt Homers zuviel Wasser und zuwenig Land enthielt. Um die Dinge auszugleichen, ersetzte er den Okeanos durch eine große Wüste. Weitgehende Reisen vervollständigten das Weltbild. Die auf diesen Reisen erworbenen Kenntnisse von den Himmelsvorgängen, wie sie unter verschiedenen Breiten erscheinen, mußten auch die Vorstellung von der Erde umgestalten.

Ursprünglich wurde die Erde als Scheibe aufgefaßt, als unterer Abschluß der darüber sich wölbenden Himmelshalbkugel.

Der nächste Schritt war die Loslösung der Erdscheibe vom Himmel. Sie wurde freischwebend und zwar innerhalb einer Himmelskugel, gemäß der Ansicht des Anaximander (ca. 550 v. Chr.) gedacht. Man unterschied auf der Erdscheibe die obere und die untere Seite.

Die Pythagoräer (Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr.) nahmen an, daß die Erde kugelförmig sei und, wie auch die Sonne und die Planeten um eine zentrales Feuer kreisten, das sie nicht mit der Sonne gleichsetzten. Die Erde wendet dem Zentralfeuer immer die gleiche Seite zu, so daß es von einer Hemisphäre nie zu sehen ist.

Aristoteles (ca. 350 v. Chr.) übernahm das Sphärische Modell und erweiterte es.

Sein Prinzip war, die Bewegung jedes Wandelsternes durch das Zusammenwirken mehrerer sich gleichförmig um verschiedene Pole drehender Sphären, von denen eine den Planeten trägt, zu erklären, derart, daß die Drehungspole jeder Sphäre fest mit der nächsten verbunden waren. Aristoteles spricht von Kristallschalen, aber für den Urheber des Systems waren die Sphären wohl nicht anderes als ein mathematisches Hilfsmittel, um eine Bewegung in ihre Komponenten zu zerlegen. Die Erde befindet sich im Mittelpunkt, dann die verschiedenen Planeten und die Sonne, schließlich der Fixsternhimmel und als äußerste, feststehende Schale die Göttlichkeit.

Aristarchos von Samos (ca. 280 v. Chr.) zweifelte diese Idee an und stellte die Theorie auf, daß die Sonne der Mittelpunkt des Universums sei, um den sich die Erde und die Planeten drehten.

Die Sonne und die Sterne seien unbeweglich und die Erde kreise um die Sonne. Damit war Aristarch von Samos ein Vorläufer jener Kosmologien, die 17 Jahrhunderte später durch Kopernikus, Kepler und Newton zum Weltbild der Menschheit werden sollten.

Sternglaube und Sterndeutung im antiken Griechenland

Erst durch die Sterndeutung erlangte die griechische Sternkunde ihre unvergleichliche Wirkung im Altertum. Eine Wirkung, die so stark war, daß sich ihr jahrhundertelang kaum jemand entziehen konnte. Dabei lag den Griechen die Sterndeutung ferner als den Ägyptern und den Babyloniern. Aus der Zeit vor dem 3. Jahrhundert v. Chr. gibt es nur wenige Andeutungen griechischen Sternglaubens und Sterndeutung. Die Verehrung von Sonne und Mond als Götter ist sehr alt und wurde noch zu Platos Zeit vom Volke beibehalten. Ja, noch im 5. Jahrhundert n. Chr. brachte Proklos der Mondgöttin beim Neulicht – nach Ablegung der Sandalen – seine Huldigung öffentlich dar. Der Einfluß des zunehmenden Mondes wird als günstig, der des abnehmenden Mondes als ungünstig angesehen, so bei den Geburten, beim Säen, beim Pflanzen, beim Haarschneiden usw. Der abnehmende Mond verursacht Fallsucht, Wahnsinn und Mondsucht. Mondfinsternisse glaubt man durch Zauberinnen verursacht, welche den Mond auf die Erde herabziehen. Mit lautem Geschrei wird er wieder befreit. Die Vollmondnächte waren besonders geeignet für Liebeszauber und andere Zaubereien. Änderungen im Wetter schienen von den jährlichen Auf- und Untergängen bestimmter Sternbilder abzuhängen. Ob diese Abhängigkeit so zu verstehen ist, daß die Sternbilder die Wettervorgänge hervorrufen oder nur anzeigen, darüber bestand bei den Griechen keine Einigkeit.

Die Milchstraße wurde in ältester Zeit als Bahn der Sonne angesehen, später als Weg der Seelen der Toten zu ihrem Stern. Nachdem Demokritos die Milchstraße als Anhäufung von Sternen erklärt hatte, lag es nahe, auch sie zur Wohnstätte der Seelen zu machen.

Gelehrte und Unterricht im alten Griechenland

Zum Abschluß möchte ich noch verschiedene der berühmten Philosophen und Naturwissenschaftler, deren Leistungen und deren Wirkungsstätten ein wenig darstellen.

Als erste Naturwissenschaftler dieses Ausmaßes sind wohl Thales von Milet, Anaximander und Anaximenes zu nennen. Alle drei wurden in Milet geboren. Sie waren die ersten, die glaubten, daß die Menschen das Universum verstehen könnten, indem sie sich allein der Vernunft bedienten und nicht auf Mythologie und Religion zurückgriffen. Sie suchten bei allen Naturerscheinungen nach einer grundlegenden Ursache. Keine persönlichen Kräfte von Göttern wurde mit einbezogen, nur unpersönliche, natürliche Vorgänge.

  • Thales von Milet (um 600 v. Chr.) gilt als Gründer der ionischen Schule der Naturphilosophie. Er studierte wahrscheinlich in Ägypten. Vermutlich lernte er dort die Kunst der Landvermessung, von der er die Geometrie ableitete. Im Mesopotamien studierte er Astronomie. Thales identifizierte den Urstoff der Welt als Wasser. Materie existierte für ihn in drei Aggregatzuständen: gasförmig, flüssig und fest.
  • Anaximander (um 610 – 545 v. Chr.) war ein Schüler von Thales von Milet. Er soll das erste wissenschaftliche Buch geschrieben haben. Er glaubte, daß das Leben im Meer aus dem feuchten Element entstand, das von der Sonne verdampft wurde. Die Existenz von Muscheln und Meeresfossilien war für ihn der Beweis, daß das Meer einen Großteil der Erdoberfläche bedeckte. Seiner Ansicht nach hatten die Menschen ihren Ursprung im Meer gehabt und waren den Fischen ähnlich gewesen. Er führt in Griechenland die Sonnenuhr ein, die bereits in Ägypten und Babylon schon bekannt war.
  • Philosoph Xenophanes (um 580 v. Chr. ) glaubt, aufgrund von Funden fossiler Meeresmuscheln auf Berggipfeln, daß sich die Erdoberfläche in der Vergangenheit gehoben und gesenkt haben muß, eine der frühesten geowissenschaftlichen Vorstellungen.
  • Von Anaximenes (um 570 – 500 v. Chr.), wahrscheinlich Schüler von Anaximander, weiß man, daß er den Regenbogen als natürliche und nicht als göttliche Erscheinung ansah. Er glaubte, daß die Luft das Grundprinzip des Universums sei.
  • Der Mathematiker und Philosoph Pythagoras (ca. 580 – 500 v. Chr. ) hielt sich ebenfalls in Ägypten und Babylon auf. Er gründet die Gemeinschaft, die man als „pythagoräische Bruderschaft“ kennt. Wir besitzen keine Schriften von Pythagoras selbst. Vermutlich sind sie zugrunde gegangen. Er entwickelt die Arithmetik und Geometrie. Er glaubt, die Erde ist eine Kugel.
  • Eratosthenes von Kyrene (ca. 276 – 196 v. Chr.) berechnet den Erdumfang aus dem Breitenunterschied zwischen Alexandria und Syene (Assuan) und ermittelt eine Zahl (46000 km), die dem heutigen Wert nahekommt. Außerdem zeichnet er auf einer Weltkarte die ersten Längengrade ein (siehe Abb. 3).
  • Hipparchos von Nikaia (ca. 180 – 125 v. Chr.) legt den ersten Fixsternkatalog an. Er benutzt eine totale Sonnenfinsternis um die Entfernung und die Größe des Mondes richtig zu bestimmen.
  • Ptolemäus (ca. 120 – 190 n. Chr.) war in Ägypten und schrieb im 2. Jahrhundert n. Chr. ein großes astronomisches Kompendium, das sog. Almagest. Eine umfassende Darstellung des astronomischen Wissens der damaligen Zeit. Er fügte seinem Werk auch einen Sternenkatalog bei, den Hipparchos zusammengestellt hatte.

Autor: Dieter Meyer

 

Literaturhinweise

Asimov I.: Biographische Enzyklopädie der Naturwissenschaften und der Technik
Becker F.: Geschichte der Astronomie
Hellemans A.: Fahrplan der Naturwissenschaften
Ley W.: Die Himmelskunde
Wußing H.: Geschichte der Naturwissenschaft
Zinner E.: Geschichte der Sternkunde
Lexikon der Geschichte der Naturwissenschaft

Bildnachweise

Abb. 1: Ridpath J.: Sterne erzählen
Abb. 2: Zinner E.: Geschichte der Sternkunde
Abb. 3: Dolezol T.: Planet des Menschen

Abb. 1: Chichén Itzá, Yucatán: Blick auf das als astronomisches Observatorium gedeutete Caracol

„Die Ägypter Mittelamerikas“ oder „Die Griechen der neuen Welt“. Bei näherem Untersuchen dieser faszinierenden Kultur Mittelamerikas kommt man einfach um einen solchen Vergleich nicht herum, sei es, weil auch die Maya monumentale Pyramiden bauten, oder weil sie sich sehr intensiv der Erforschung der Natur widmeten.

 

Geographische Besonderheiten

Das Hauptsiedlungsgebiet dieser Menschen lag im tropischen Regenwald zwischen dem Golf von Mexico und dem Golf von Honduras. Auf der Halbinsel Yucatan finden wir heute die ältesten und bedeutendsten Zeremonialzentren der Maya. Tikal, Uaxactun, El Mirador, Copan, Palenque und andere. Aber auch Teile von Guatemala, Honduras, Belize und San Salvador wurden von den Maya besiedelt (siehe Abb. 2, Karte archäologischer Stätten im Maya-Gebiet).

Yucatan liegt voll im tropisch heißen Tiefland auf der gleichen geographischen Breite wie die Sahara. Trotzdem ist Yucatan keine Wüste, da der Golf von Mexiko und das Karibische Meer ständig feucht-heiße Luft in diese Gegend transportieren. An der Nordwestküste findet man trockene Wälder, während im Landesinneren der typisch feuchte Regenwald alle alten Kultstätten unbarmherzig überwuchert und so unsichtbar für die Forscher macht.

Mesoamerika war über viele Jahrhunderte Schauplatz der Entwicklung verschiedener Hochkulturen. Ihr Aufstieg und Untergang spielte sich in unterschiedlichen Ökosystemen ab, die sich prägend auf diese Kulturen auswirkten. Doch bei aller Verschiedenartigkeit des Lebensraumes standen sie in engem Kontakt miteinander, vergleichbar mit den verschiedenen Kulturen des frühen Europas. Eine besondere Rolle innerhalb dieses Gebietes fällt den Maya zu, einer der wohl bemerkenswertesten Kulturen der Welt. Ihre geographische Verbreitung umfaßte ein Gebiet von rund 324 000 km2.

Geschichtliche Entwicklung

Die Besiedlung Mittelamerikas wird auf ca. 10000 v. Chr. angesetzt. Aus ca. 9000 und 7000 v. Chr. sind Steingeräte oder Pfeilspitzen bekannt. Ca. 2000 v. Chr. beginnt die sog. präklassische Zeit. Diese dauerte fast zweitausend Jahre bis etwa 300 n. Chr. und wird weiter unterteilt in die „frühe Präklassik“, „mittlere“ und „späte Präklassik“. Jede dieser Phasen ist durch Besonderheiten abgrenzbar. Ton und Keramikgegenstände aus der Zeit zwischen 2000 und 900 v. Chr. wurden gefunden, außerdem die ersten dauernd bewohnten Siedlungen. Alle Fundstätten befinden sich an der Küste oder in der Nähe von Mangrovensümpfen.

Die mittlere Präklassik (900 – 400 v. Chr.) hat für die Maya aber besondere Bedeutung. Das gesamte Mayagebiet war durchgehend besiedelt. Während in der frühen Präklassik die Siedlungen an den Ufern von Flüssen und Seen entstanden, bildeten sich in der mittleren Präklassik auch weit entfernt von den Wasservorkommen Siedlungen, die sich später zu wichtigen Städten entwickeln sollten (z.B. Tikal, Uaxactun u.a.).

Die späte Präklassik (ca. 400 – 250 n. Chr.) ist für die gesellschaftliche Entwicklung der Maya die wichtigste Epoche. In dieser Zeit werden viele neue Städte begründet. Unter dem Einfluß adeliger Familien entwickelt sich Wirtschaft, Architektur, Hieroglyphenschrift und die Kunst. Die Oberschicht koordiniert auch den Bau von öffentlichen Gebäuden, die Vergrößerung von zeremoniellen Plätzen, die Erwirtschaftung von Ernteüberschüssen und deren Umverteilung. Architekten entwickelten die anspruchsvollsten und monumentalsten Bauten. Pyramiden von etwa 30 Meter Höhe, wie zum Beispiel in Tikal, Lamanai und Nakbe. In El Mirador erreichten sie sogar eine Höhe von etwa 70 Metern. Anders als in Ägypten dienten diese Pyramiden nur religiösen und astronomischen Zwecken. So bestanden sie aus astronomischen Baukomplexen für Sonnenbeobachtung, Sonnenfinsternisvorhersagen und Bestimmung von Sonnwenden. Die Bestimmung von Aussaat- und Erntezeiten, die Einhaltung landwirtschaftlicher Zyklen, oder ritueller Weihungszeremonien zum Ende des Sonnenjahres waren für die Bevölkerung von großer Bedeutung. Ein anderes wichtiges „Ereignis“ fällt ebenso in diese Zeitspanne, die „Erfindung“ der Hieroglyphenschrift. Die genaue Herkunft der Schrift ist nicht bekannt. Vermutlich liegt ihre Entstehung etwa bei 400 v. Chr.

In der klassischen Periode (300 – 500 n. Chr.) bildeten sich einzelne Staaten, die wirtschaftlich selbständig sind, infolge dessen entstand aber auch Neid und somit viele Kriege. Überliefert sind uns aus dieser Zeit viele stumme Zeugen in Form von Steinsäulen und Gebäuden.

Während im 7. und 8. Jahrhundert das Land noch von Menschen wimmelte, riesige Maisfelder angebaut wurden, gewaltige Tempel und Paläste die Zentren großer Städte ausfüllten, war bereits zwei Jahrhunderte später von dieser Kultur fast nichts mehr zu sehen. Der Tropenwald überwucherte alle Bauten und Maisfelder. Die Könige waren verschwunden, ebenso ihr Volk. Warum? Diese Frage ist bis heute nicht mit Sicherheit geklärt. Spekulationen gibt es genug. Angefangen von rituellem Massenselbstmord, über Meteoriteneinschlag, Epidemien, Klimawechsel, ja sogar bis zum Besuch von Außerirdischen. Wahrscheinlicher ist wohl, daß die Bevölkerung aufgrund der guten sozialen Situation sich zu schnell vermehrte, die Landwirtschaft aber nicht genug Lebensmittel aufbringen konnte. Vielleicht gab es aufgrund von Unwetterkatastrophen keine oder zumindest nur eine schlechte Ernte. Daraufhin verließen viele die großen Städte und verteilten sich in einem weiteren Umkreis.

Fest steht, daß dieser kulturelle Zusammenbruch sehr schnell vor sich ging. Während aus dem Jahr 790 n. Chr. noch viele Steinsäulen erhalten sind, gibt es bereits ab dem Jahr 890 n. Chr. keine Zeugnisse mehr.

Als 1502 der erste Spanier in Yukatan landet, ist die Blütezeit längst vorbei. Viele Kultstätten sind vom Urwald überwuchert und viele Schriften sind verloren. Den Rest zerstören religiöse Eiferer der Spanier.Die wenigen Überlieferungen sind Bauwerke, Steinsäulen (sog. Stelen) und handschriftliche Aufzeichnungen, sog. Kodizes. Diese sind gemalte Bücher aus Rehleder oder Tafeln von bearbeiteter Baumrinde (siehe Abb. 3, eine Seite aus dem Dresdner Kodex aus dem 13. Jh.). Diese Kodizes kann man getrost als Enzyklopädien, Kompendien von Wissenschaft und Technik, und astronomischen u. mathematischen Wissen bezeichnen. Ebenso enthielten sie praktische Unterweisungen in Landwirtschaft, Künsten und Handwerk.

Ursprünglich gab es hunderte solcher Schriften. Die meisten jedoch wurden im Juli 1562 auf Befehl von Diego de Landa, Bischof von Yukatan (siehe Abb. 4), verbrannt. Daraufhin ist die Schrift der Maya fast vollkommen vergessen worden. In seinen letzten Lebensjahren widmete sich Diego de Landa dann der Rekonstruktion und Übersetzung dieser Bücher. Tatsächlich überlebten nur 3 Handschriften die Vernichtungsaktion. Sie werden nach ihrem Aufbewahrungsort Madrider Kodex, Pariser Kodex und Dresdner Kodex genannt. Seit 1739 befindet sich also eine Ausgabe dieser Kodizes in Dresden. Der bedeutendste Übersetzer war Ernst Förstemann (Bibliothekar in Dresden). Er entschlüsselte den Kalender der Maya, entdeckte das Vigesimalsystem und die Zahl 0 in den Berechnungen der Maya.

Dies war jetzt eine ausführliche Schilderung der Geschichte der Maya. Aber ich glaube, dies ist notwendig, um eine für uns unbekannte Kultur zu verstehen.

Die Erfassung der Zeit

Die Zeitrechnung war ein wesentliches Element der Wissenschaft der Maya. Mit Hilfe von Observatorien berechneten Priester den Umlauf der Gestirne, um den günstigsten Zeitpunkt für die Aussaat zu finden. Viele Gebäude sind astronomisch ausgerichtet. Das von den Maya berechnete Sonnenjahr stimmt bis auf drei Stellen nach dem Komma mit unseren heutigen Erkenntnissen überein.

Da die Maya sehr geschichtsbewußt waren, finden sich Kalenderangaben auf allen wichtigen Gebäuden. Einige Gebäude sind sogar als Kalender gebaut worden. Beschäftigt man sich mit der Kalenderrechnung, so erscheint sie am Anfang wirr, entpuppt sich aber bei näherem Hinsehen als ein äußerst logisch durchdachtes System. Doch bevor wir näher auf den Kalender eingehen, betrachten wir die Mathematik der Maya.

Im Gegensatz zu den Römern oder den Griechen kannten die Maya die Zahl 0. Sie verwendeten ferner ein sog. Vigesimalsystem, d.h. die Berechnungsbasis ist 20. Die Reihenfolge der Stellen ist demnach nicht 1-10-100-1000-10000 sondern 1-20-400-8000 usw.

Die Zahlen, die sich auf vielen Stelen oder Gebäuden finden werden durch Striche und Punkte dargestellt. Die Zahl 2125 würde bei den Maya folgendermaßen geschrieben:

2125 : 400 = 5 Rest 125
125 : 20 = 6 Rest 5
5 : 1 = 5 (Rest 0)

Die Darstellung wäre also:

5 =
6 =
5 =

Bei der Kalenderrechnung versagt aber dieses System. Um eine Angleichung an das Sonnenjahr zu erreichen, muß statt der Zahl 400 die Zahl 360 (20 x 18) verwendet werden. Bei den Kalenderangaben lautet also die Reihenfolge der Stellen 1 – 20 – 360 – 7200 usw.

Wollten wir das Datum 1995 in der Schrift der Maya darstellen, so müßten wir folgendermaßen vorgehen:

1995 : 360 = 5 Rest 195 =
195 : 20 = 9 Rest 15 =
15 : 1 = 15 (Rest 0) =

Nun aber zum eigentlichen Kalender. Generationen von Wissenschaftlern arbeiteten an der Aufklärung dieses in seiner Komplexität auf der Welt beispiellosen Kalenders.

Vereinfacht dargestellt besteht der eigentliche Kalender aus zwei ineinander verzahnten Zyklen (siehe Abb. 5). Auch bei den anderen mexikanischen Völkern war diese sogenannte Kalenderrunde in Gebrauch. Hierbei handelt es sich um einen 260-Tage und um einen 365-Tage-Zyklus, die wie zwei Zahnräder ineinandergriffen. Der 260-Tage-Zyklus (Tzolkin) war in erster Linie ein Ritualkalender. Die Funktionsweise ist verhältnismäßig einfach: 20 Tageszeichen wurden mit den Zahlen 1 – 13 gekoppelt. Nach Ablauf von 13 Tagen endete die erste Woche, der Zyklus beinhaltete demnach 20 Wochen (260 : 13 = 20). Die Bedeutung der 20 Tageszeichen ist uns von Diego de Landa überliefert. Jeder Tag wurde von einer anderen Gottheit beherrscht, die sowohl glück- als auch unglücksbringend sein konnte. Diese Tagesgötter beeinflußten nicht nur das Geschehen des jeweiligen Tages, sondern auch das Schicksal eines jeden an diesem Tag geborenen Kindes. Der 365-Tage-Zyklus (Haab) setzt sich aus 18 Monaten zu je 20 Tagen zusammen. Dividiert man 365 durch 20, stellt man fest, daß ein Rest von 5 Tagen übrigbleibt. Diese 5 Tage wurden in einem Kurzmonat zusammengefaßt und als unglücksbringend angesehen. An diesen Tagen ruhte das öffentliche Leben, alle an diesem Tag begonnenen oder durchgeführten Unternehmungen waren vom Unglück verfolgt und von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Da jeder Zyklus für sich alleine genommen ungeeignet ist, Daten so anzugeben, daß eine Verwechslung der Tage im Laufe mehrerer Jahre ausgeschlossen ist, wurden beide Zyklen zur Kalenderrunde kombiniert. Jeder Tag des 260-Tage-Zyklus wurde so zu einem Tag des 365-Tage-Zyklus gekoppelt. Eine Datumsangabe setzte sich demnach aus den folgenden vier Elementen zusammen:

  • einer Ziffer 1 – 13 (Woche des 260-Tage-Zyklus)
  • einer der 20 Tageszeichen des 260-Tage-Zyklus
  • einer Ziffer 1 – 20 (Tage eines Monats des 365-Tage-Zyklus) und
  • einer Monatsglyphe.

Die Kombination dieser vier Elemente bewirkt eine eindeutige Bezeichnung eines jeden Tages innerhalb von 52 Jahren (genauer 18980 Tagen). Nach Ablauf eines solchen „Mayajahrhunderts“ bestand die Gefahr des Weltuntergangs.

Am letzten Tag des alten Zyklus’ wurden deshalb alle Feuer im Land gelöscht, und die Priester zogen zum Sternenhügel außerhalb der Stadt Tenochtitlan. Überquerten die Plejaden nach Mitternacht ihren Zenit, galt der Neubeginn des nächsten Zyklus‘ als gesichert. Auf der Brust eines geopferten Menschen entzündeten die Priester sodann ein neues Feuer, welches an das Volk und an die Tempel weitergereicht wurde.

Die Abfolge dieser 52-Jahr-Zyklen erlaubt jedoch immer noch keine langfristige Datierung. Erst die Erfindung der sogenannten „Langen Zählung“ (longcount) ermöglichte eine kontinuierliche Zeitrechnung. Das Prinzip beruht auf der Einführung eines Nullpunktes, von dem an alle Tage fortlaufend gezählt wurden. Das Datum, an dem die Zeitrechnung der Maya begann, ist der 10. August 3114 v. Chr. Diesem fixierten Nullpunkt liegt sicherlich kein historisches Ereignis zugrunde, vielmehr dürfte es sich um ein errechnetes Datum, vielleicht sogar um ein mythologisches Ereignis handeln.

Gezählt wurde wiederum mit Hilfe des Vigesimalsystems. Die kleinste Zeiteinheit war hierbei ein Tag. Die jeweils nächsthöheren Zeiteinheiten wurden wie folgt zusammengefaßt:

20 kin = 1 uinal (= 20 Tage)
18 uinal = 1 tun (= 360 Tage)
20 tun = 1 katun (= 7 200 Tage)
20 katun = 1 baktun (= 144 000 Tage)
20 baktun = 1 pictun (= 2 880 000 Tage) usw.

Die Kenntnis des fixierten Ausgangspunktes sowie der „Langen Zählung“ der Maya-Zeitrechnung ermöglichte eine Korrelation unserer eigenen Zeitrechnung mit derjenigen der Maya. Heute können die wichtigsten Gebäude der Maya exakt datiert werden, was durch die Vielzahl der gefundenen in Stein geschlagenen Datumsangaben wesentlich erleichtert wurde. Die geschichtliche Entwicklung dieses Volkes wurde so zugänglich, eine Vielzahl offener Fragen konnte geklärt werden.

Doch nicht nur die historischen Dimensionen der alten Kultur der Maya erschlossen sich dem Forscher, sondern das tiefere Verständnis der mexikanischen Kalenderwissenschaft gestattete auch Einblicke in die gedankliche und mythologische Welt der Mexikaner. Ganze Völker ergaben sich in die Knechtschaft des allgegenwärtigen Kalenders. Jeder einzelne, vom Bauern bis zum Herrscher, hatte sich den Zyklen und den in ihnen herrschenden göttlichen Kräften zu unterwerfen. Die Schöpfung selbst war keine abgeschlossene, endgültige Geschichte, sondern gleichfalls eingebunden in ein großes System von Wachsen und Vergehen. Der Fortbestand der Zeitzyklen – und damit der Welt – erforderte Menschenopfer; kein Krieg konnte gewonnen werden, keine Ernte eingebracht und kein Wild erlegt ohne den Beistand der Götter.

Erst die Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten des Kalendersystems eröffnete das Verständnis für viele Aspekte der vergangenen und der heute noch bestehenden Kultur.

Als Besonderheit des Maya-Kalenders sollte noch erwähnt werden, daß er, im Gegensatz zu fast allen anderen Kulturen der Welt, den monatlichen Mondzyklus nicht berücksichtigte. Trotzdem wurde der Mondlauf beobachtet und berechnet.

Natürlich gibt es zu dieser Kultur noch einiges zu schreiben. Deshalb, und vielleicht auch weil mich persönlich gerade die Maya besonders interessieren, möchte ich den Artikel in der nächsten Ausgabe fortsetzen.  Also bis dann!

Autor: Dieter Meyer

 

Literaturhinweise

Eggebrecht E.: Die Welt der Maya
Rätsch C.: Chactun – Die Götter der Maya
Baudez C.: Versunkene Städte der Maya
Huff S.: Der Kalender der Maya leicht gemacht

Bildnachweise

Abb. 1 u. 2: Eggebrecht E.: Die Welt der Maya
Abb. 3: Sächsische Landesbibliothek in Dresden
Abb. 4: Baudez C.: Versunkene Städte Maya
Abb. 5: Huff S.: Der Kalender der Maya leicht gemacht

Abb. 1: Ballspielplatz in Copan

„Die Ägypter Mittelamerikas“ oder „Die Griechen der neuen Welt“. Schon in der letzten Ausgabe berichtete ich Ihnen von dieser beeindruckenden Kultur. Heute befasse ich mich vor allem mit der Beobachtung der Gestirne und der Vorstellung, welche die Maya beim Anblick des Himmels hatten.

 

Erfassung des Raumes

Grundlegend ist die Einteilung der Ebene in die 5 Richtungen Nord, Ost, Süd, West und Mitte. Diese Himmelsrichtungen wurden mit den Farben, Weltaltern (die unseren Elementen entsprechen), den Namen und der Art der Jahre in folgende Beziehung gesetzt:

Richtung

Farbe

Weltalter

Name und Art des Jahres

Nord

weiß

Jaguarsonne (=Erde)

Tecpatl

dürr

Ost

rot

Windsonne (=Luft)

Acatl

fruchtbar

Süd

gelb

Feuersonne (=Feuer)

Tochtli

unglücklich

West

schwarz

Wassersonne (=Wasser)

Calli

naß

Mitte

Erdbebensonne

Der Himmel wurde von vier Himmelsträgern gehalten, die wahrscheinlich in den 4 Himmelsrichtungen stehend gedacht waren.

Zu erwähnen sind die neben den Tempeln gelegenen Ballspielplätze, deren Seiten genau den Himmelsrichtungen entsprechen. Das in Mittelamerika weit verbreitete Ballspiel mit einem schweren Vollgummiball, der mit der Hüfte oder Schulter an die Mitspieler weitergegeben wird, birgt symbolische Züge des Kampfes der Gestirne in sich. Der Ball steht in diesem Zusammenhang für das Abbild der Gestirne, und das Spiel ist weniger als Sport, sondern vielmehr als kosmologisches Welttheater im kleinen Raum aufzufassen, das mit menschlichen Spielern gespielt wird.

Neben den Himmelsrichtungen waren auch die Richtungen der Sonnwenden (im Winter und Sommer) bekannt. Am Himmel unterschied man 13 übereinanderliegende Schichten, desgleichen neun verschiedene Unterwelten, wobei jede dieser einzelnen Schichten einem Gott unterstellt war. Zischen diesen 13 + 9 Schichten und den 13 + 9 Stunden des Volltages bestanden enge Beziehungen: jede Stunde hatten den entsprechenden Gott zum Herrn.

Es ist nicht bekannt, ob die Planeten und die Sterne auf die verschiedenen Himmel verteilt wurden. Besonders verehrt und beachtet wurden aber die Sonne und die Venus. Die Dresdner Handschrift (siehe vorigen Teil) enthält Berechnungen über den Lauf der Venus. Die Maya beobachteten die Aufgänge des Planeten über viele Jahre hindurch und lösten mit Hilfe eines Systems von Multiplikationstafeln die Korrekturprobleme in Abstimmung auf ihre bestehenden Kalender. Eine Abweichung von 0.08 Tagen im Verlauf von 481 Jahren ist wirklich eine großartige Leistung.

Eines der wichtigsten astronomischen Ereignisse, ein Venusdurchgang, wurde im Dezember des Jahres 416 n. Chr. beobachtet. Der Venusdurchgang fand an der Küste Guatemalas gegen Sonnenaufgang statt, so daß es möglich ist, daß die Astronomen die Bewegung des schwarzen Flecks über die Sonnenscheibe durch den Morgennebel über den Bergen beobachten konnten. Ob Mars, Jupiter, Saturn und Merkur von den Priestern der Maya beobachtet worden sind, ist nicht bekannt. Jedenfalls wurden sie nicht als Götter angesehen oder verehrt. Daher gab es auch keinen Grund für die Priester, ihr Erscheinen voraus zuberechnen und vorherzusagen. Ebenso wissen wir nicht, ob die Maya die tägliche und jährliche Bewegung der Sterne darzustellen versuchten. In den Handschriften jedenfalls werden als „Wanderer am Himmel“ genannt: Sonne, Mond, der Morgen- und Abendstern, die Sterne des Nordens, die Sterne des Südens und die Milchstraße. Es ist nicht ausgeschlossen, daß einige auffällige Sternkonstellationen wie die Plejaden und der Skorpion bekannt waren, obwohl sich kein eindeutiger Beweis dafür erbringen läßt.

Sternglaube und Sterndeutung

Die Astrologie und die Astronomie waren zur damaligen Zeit sehr eng miteinander verknüpft. So waren die Tage selbst göttlich. Das Agieren der Götter schafft die Zeit, und die Menschen haben die Aufgabe, dem Tun der Gottheiten auf die Spur zu kommen. Jeder Tag stand unter dem Schutz zweier Götter, deren Herrschaftszeit von Sonnenauf- und -untergang bestimmt wurde. Durch die Analyse der Stellung dieser beiden Götter zueinander konnten die Priester Voraussagen über den nachfolgenden Tag treffen. Zusätzlich wurden die Stellungen von Mond und Venus berücksichtigt. Die Maya glaubten weiterhin, daß der Morgenstern im Augenblick seines Aufgangs sehr gefährlich sein könne, und wollten daher das genaue Datum im Voraus wissen, damit die Priesterschaft wirksame Maßnahmen treffen konnte. Die Venus wurden jeden Tag bei Ihrem Aufgang von den Priestern mit Räucherungen und Blutabzapfungen begrüßt.; bei ihrem Frühaufgang wurde ein Mensch geopfert. Der Mond, meistens mit dem Kaninchen im Mond dargestellt, wurde ursprünglich auch als Gott verehrt, verlor aber allmählich seine Bedeutung gegenüber der Venus.

Die Maya wußten sicherlich nicht, daß eine Sonnenfinsternis nur dann eintreten kann, wenn Neumond mit dem Zeitpunkt zusammenfällt, an dem die Sonne die Bahn des Mondes kreuzt. Sie können dies nicht gewußt haben, denn sie erkannten nie, daß sich die Erde um die Sonne dreht. Trotzdem befindet sich im Dresdner Kodex eine Tafel mit 68 Daten, an denen Sonnenfinsternisse über eine Zeitspanne von fast 33 Jahren stattfinden würden. Während der Sonnenfinsternis stiegen fürchterliche Wesen auf die Erde herab und bedrohten die Menschheit, so glaubten die Maya. Sie glaubten, sich selbst im Zentrum der Welt zu befinden und von einem Binnenmeer umgeben zu sein. Die Sonne war für diese Menschen das mächtigste und bestimmendste Gestirn. Die Maya glaubten, daß die Sonne nachts in der Gestalt des Jaguars durch die Unterwelt wandere, um zu Tagesbeginn im Osten wieder zu erscheinen. Die meisten Opfer wurden auf den großen Zeremonialplätzen der Sonne dargebracht, um sie dazu zu bewegen, die Zeit beständig fortschreiten zu lassen. Ein Stillstand der Gestirne hätte das Zeitenende zur Folge gehabt.

Sternkundige und Unterricht

Die Sternkunde lag in der Hand der Priester. Sie besorgten die Auslegung des Kalenders und die Beobachtung der Himmelserscheinungen. Aus dem Reigen der Götter, und aus den Schauspielen, die ihre Herren im Himmel darboten, erschlossen sie die Art und Weise, wie die Menschen auf der Erde zu führen sind. Somit waren die Priesterastronomen besondere Vermittler zwischen den Göttern und dem Volk. Bei Copan im heutigen Honduras, der südlichsten Stadt im klassischen Mayagebiet, ehrt eine drei Meter hohe Stele einen Priesterastronomen (siehe Abb. 2). Sie stammt aus dem Jahr 782n. Chr., und Hieroglyphen verzeichnen das Datum, die Mondphase und den Namen des Gottes, der damals herrschte.

Geräte und Sternwarten

Es ist nicht auszuschließen, daß die Priesterastronomen zur Beobachtung auch Hilfsmittel einsetzten, so z.B. einen polierten Obsidianspiegel. Diese Technik brauchten sie nicht neu zu erfinden, denn seit olmekischen Zeiten (900 – 400 v. Chr.) waren konkave Vergrößerungsspiegel, mit denen man erfolgreich arbeiten konnte, bekannt. Wahrscheinlich benutzten die Priesterastronomen auch x-förmige Kreuzstäbe für ihre Beobachtungen, die auf mancher Stele zu erkennen sind. Verschiedene Kultanlagen sind als Observatorien bekannt. Zum Beispiel Teotihuacan. Der gewaltige Sonnentempel, ein 63 Meter hohes Bauwerk, wurde nach astronomischen Gesichtspunkten konstruiert. Die Observatorien bestanden im wesentlichen aus Sichtlinien. In einigen Fällen wurden solche Linien durch Steinsäulen über beträchtliche Entfernungen markiert, im allgemeinen aber zeigten derartige Beobachtungspunkte die Sonnenaufgangs- und -untergangstelle an. Falls ein Planet oder Sternbild über einem solchen Punkt erschien, konnte dieses Ereignis auf der Stele vermerkt werden.

Zu den archäologischen Schätzen von Chichen Itza gehört die Pyramide des Kukulacan (siehe Abb. 3). Die insgesamt 365 Stufen der 30 Meter hohen Pyramide mit neun Terrassen beziehen sich auf die Anzahl der Tage eines Jahres. Zweimal im Jahr (am 21. März und 23. September), also am Tag der Sonnenwende, offenbart sich ein ungewöhnliches Schauspiel, das jedesmal Tausende von Menschen anzieht. Durch den Schattenwurf der Sonne entsteht der Eindruck einer sich langsam die Pyramide herabwindenden Schlange. Kukulcan bedeutet in der Mayasprache „gefiederte Schlange“, und diese Bezeichnung trug der toltekische Herrscher Quetzalcoatl, der auch in Chichen Itza regierte. Wie in Palenque befindet sich auch in diesem Kultzentrum eine Sternwarte, ein als „Schneckenhaus“ bekanntes Bauwerk. Das Observatorium wurde vermutlich als astronomisches Meßgebäude benutzt, um aus der Einstrahlung des Sonnenlichts Regelmäßigkeiten des Jahresablaufs entnehmen zu können.

Etwa 10 Jahrhunderte lang entwickelte sich die Hochkultur der Maya voran. Der Zusammenbruch dieser Zivilisation erfolgte nicht plötzlich. Es dürfte eine Stadt nach der anderen verlassen und später von Urwald überwuchert worden sein. Besonders in Nordamerika und weltweit besteht ein starken Engagement für die Erforschung und Konservierung der Mayabauten und Kunstwerke. Sie wurden bald als die Kulturdenkmäler des Doppelkontinents erkannt und sind noch immer von vielen Rätseln umgeben. Inzwischen gab es sogar schon Weltraummissionen, um mit Spezialkameras den fast undurchdringlichen Dschungel zu durchleuchten und neue Erkenntnisse über diese so bedeutende Kultur zu gewinnen.

Damit möchte ich meine Betrachtung über die Sternkunde der Maya beenden.

Autor: Dieter Meyer

 

Literaturhinweise

E. Eggebrecht: Die Welt der Maya
C. Rätsch: Chactun – Die Götter der Maya
C. Baudez: Versunkene Städt der Maya

Bildnachweise

sämtliche Abbildungen aus E. Eggebrecht: Die Welt der Maya

Abb. 1: Stonehenge

Asterix und Obelix sind wohl die berühmtesten Vertreter einer Kultur, die man auf den ersten Blick nicht unbedingt in Verbindung bringt mit Sternkunde und sonstigen Naturwissenschaften. Und doch sollen unsere Vorfahren in dieser Serie über die Astronomie früher Kulturen einen angemessenen Platz finden. Nicht zuletzt die monumentalen Bauten von Stonehenge und anderen Anlagen faszinieren auch heute noch den Besucher und werfen vor allem viele Fragen über Sinn und Zweck dieser Anlagen auf.

Befaßt man sich mit der Sternkunde, so ist es zuerst sinnvoll, die geschichtliche Entwicklung in 3 unterschiedliche Zeiträume einzuteilen:

  • Die ursprüngliche Astronomie
  • Die Zeit der Aufnahme fremden Wissens
  • Die eigene Sternforschung

Ich möchte mich in dieser Ausgabe auf die Anfänge der germanischen und keltischen Geschichtsschreibung beschränken.

 

Ursprung der Völker Europas

Mit dem Beginn der Keltenzeit löste sich Mitteleuropa endgültig aus dem vorgeschichtlichen Dunkel und trat in das Licht der uns überlieferten Geschichte. Die Griechen gaben die ersten Hinweise auf keltische Stammesgruppen, die in wenigen Jahrhunderten zu einer mächtigen und weitverbreiteten Kulturgemeinschaft heranwuchsen. So berichtete Herodot (ca. 484 – 430 v. Chr.) in seiner Darstellung Europas: „Die Donau entspringt im Land der Kelten nahe der Stadt Pyrene und durchquert Europa, das sie in der Mitte durchtrennt.“ Hekataios von Milet (um 500 v. Chr.) erwähnt in seiner Erdbeschreibung die keltische Stadt Nyrax, bei der es sich wohl um das spätere Noreia in den Südostalpen handeln dürfte. Auch die Sprachforschung nimmt eine „Urheimat“ der Kelten im Bereich zwischen Rhein und Donau an, denn dort sind keltische Bezeichnungen für Flüsse und Berge am zahlreichsten erhalten geblieben. Keltisch sprechende Gruppen dürften also bereits vor 500 v. Chr. hier gewohnt haben. Recht früh ist wohl eine Expansion auf die britischen Inseln erfolgt, da sich dort bis heute ein sehr früher Dialekt erhalten hat. Insgesamt sprechen in Westeuropa heute noch zwei Millionen Menschen keltische Mundart Die Kelten drangen außerdem nach Spanien, Italien, Südosteuropa, bis zum Schwarzen Meer oder sogar über Griechenland bis Delphi vor.

Der Ursprung germanischer Stämme ist historisch nicht faßbar. Auch hier erhalten wir erste Hinweise auf die Existenz germanischer Völker von einem Griechen, nämlich Pytheas von Massilia. Er berichtet über eine Reise in den Norden Europas im 4. Jahrhundert vor Christus. Pytheas nannte alle Völker, die nördlich der Kelten lebten, Teutonen. Bei den Teutonen handelt es sich um ein Volk das, wie wir wissen, zu den Germanen zählte. Als Quelle von besonderer Bedeutung ist der Bericht des Griechen Poseidonios zu werten, der leider nur aus zweiter Hand überliefert wurde und auf die Zeit des 2. bis 1. Jhdts. v. Chr. zurückgeht. Dieser schreibt unter erstmaliger Nennung des Volksnamens „Germanen“: „Die Germanen genießen zum Frühstück gliederweise gebratenes Fleisch und trinken dazu Milch und den Wein ungemischt.“ Unter „Wein“ muß man Bier oder Met verstehen. Wollen wir die Heimat germanischer Stämme genauer festlegen, so stehen uns die überlieferten Schilderungen vor allem des Tacitus, aber auch diejenigen des römischen Geographen griechischer Abstammung Ptolemaeus zur Verfügung. Dieser machte sich auch als Astronom und Mathematiker einen Namen. Danach lassen sich die germanischen Stämme anhand ihrer Heimatgebiete folgendermaßen einteilen: Nordsee-, West- und Elbgermanen.

Ursprung der Sternkunde

Bevor wir uns dem Ursprung der Sternkunde widmen, hier ein paar notwendige Feststellungen:

  • Aus dieser Zeit sind uns keine Überlieferungen in Schriftform bekannt, sondern meistens stumme Zeugen (wie verschiedene Bauwerke), da die Druiden als verantwortliche Sternkundige ihr Wissen nicht schriftlich, sondern nur mündlich an ihre Nachfolger weitergaben.
  • Werden doch schriftliche Überlieferungen verwendet, dann handelt es sich meistens um nachträglich notierte Überlieferungen, deren Wahrheitsgehalt nicht immer gegeben sein muß.
  • Das Wetter in Norddeutschland, Dänemark und Südschweden war in frühen Zeiten kaum anders als jetzt, das bedeutet: meistens bedeckter Himmel und häufig Niederschläge. Ein klarer Himmel ist aber Voraussetzung für die Entdeckung von Rhythmen, wie z.B. den Mondphasen, Planetenbewegungen und vor allem Finsternissen.

Erfassung der Zeit

Wollte sich ein Familienmitglied von seiner Familie lossagen, mußte er Erlenstäbe zerbrechen und in die vier Himmelsrichtungen werfen. Dieses überlieferte Ritual bestätigt, daß die Himmelsrichtungen bekannt waren. Außerdem wurden die Toten ist Ost-West-Ausrichtung bestattet. Andere Fundstücke zeigen Gürtelschnallen in Form von Windrosen. Von germanischen Vorstellungen über die Bewegungen der Planeten ist nichts bekannt. Die in der Mitte des 2. Jhdts. v. Chr. regelmäßige Verehrung der Sonne mit festlichen Umzügen läßt erkennen, daß man sich damals der Regelmäßigkeit ihrer Erscheinung bewußt war. Finsternisse wurden als eine Bedrohung von Sonne und Mond durch Werwölfe aufgefaßt. Es war Sitte, durch Lärm und Rufe diese Unholde zu verscheuchen.

Von den Planeten ist nur die Venus als „Morgen-“ und „Abendstern“ überliefert. Ebenso ist uns über die Sternbilder der Germanen nur wenig bekannt, so z. B. den großen Wagen, den Orion und die Gluckhenne (Plejaden).

Obwohl die Sterne in den germanischen Sagen eine große Rolle spielten, ist keine komplette Darstellung des Sternhimmels vorhanden.

Sternglaube und Sterndeutung

Unser Wissen über die Götterwelt der Kelten verdanken wir wieder zum größten Teil griechischen und römischen Schriftstellern. Weil sie die keltischen Gottheiten mit ihren eigenen Göttern verglichen, kennen wir heute deren Namen und ihre Bedeutung. So ist Taranis der oberste Gott und Herrscher des Himmels. Er wurde oft als Pferd oder als Mischwesen mit Pferdeleib und menschlichem Kopf dargestellt. In menschlicher Gestalt taucht er oft in Verbindung mit dem keltischen Feuerrad auf. Da er mit Blitz und Donner den Himmel beherrschte, setzten ihn die Römer mit Jupiter gleich. Weiterhin ist uns Teutates, der Gott des Krieges und der Künste bekannt. Schließlich rundet Esus als Gott der Erde, des Waldes und der Pflanzenwelt die keltische Dreifaltigkeit ab. Außer diesen drei wichtigen Gottheiten kennen wir noch etwa 400 weitere keltische Götter. Über die Götter der Germanen wissen wir heute sehr wenig. Wohl gibt es etliche Felszeichnungen, auf denen Götterverehrungen dargestellt sind, doch lassen diese Zeichnungen viele unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten zu. Eine große Rolle spielt hier aber ein immer wieder vorkommendes Schiffsymbol, welches man als ein Götterschiff oder Sonnenschiff deuten könnte (siehe Abb. 2, Motive schwedischer Felszeichnungen). Bei Festen zu Ehren des Himmelsgottes wurde beispielsweise eine große senkrecht stehende Sonnenscheibe von einem Pferd gezogen, wie der Sonnenwagen von Trundholm in Dänemark zeigt (siehe Abb. 3, der Sonnenwagen von Trundholm). In einem Moor bei Nykøbing fand man 1902 dieses Bronzepferdchen auf vier Rädern, und daran befestigt eine mit getriebenem Goldblech überzogene, leicht konvexe Bronzescheibe, die ebenfalls auf Räder montiert war.

Die ältesten Berichte über die germanischen Götter, die uns die klassischen Autoren vermitteln, sind noch sehr schematisch und lassen viele Fragen unbeantwortet. Cäsar teilt nur folgendes mit: „Die germanischen Sitten und Bräuche sind sehr verschieden von denen der Gallier; denn sie haben keine Druiden, die die Verehrung der Götter bestimmen, noch legen sie Wert auf Opfer. Zu den Göttern rechnen Sie bloß die, die sie sehen können und deren Hilfe ihnen deutlich fühlbar ist: die Sonne (Sol), das Feuer (Vulcanus) und den Mond (Luna). Die anderen kennen sie nicht einmal vom Hörensagen.“ In der Religionsgeschichte hat man diese Beschreibung aber bald als unzutreffend verworfen. Vielmehr nimmt man an, daß die Götter nicht personifiziert wurden, sondern sich in den Naturerscheinungen widerspiegelten. Und bereits eineinhalb Jahrhunderte später schildert Tacitus einen ganz anderen Zustand. Im neunten Kapitel der „Germania“ erwähnt er drei Götter, die er mit lateinischen Namen bezeichnet: Mercutius, Mars und Hercules. Aber er kennt auch noch eine Göttin Isis, eine Göttin Nerthus und „einen Gott, der über alles herrscht.“ Auch diese Überlieferung war natürlich nicht vollständig. Wahrscheinlich gab es darüber hinaus wie bei den Kelten noch hunderte weiterer Gottheiten, zum Beispiel einen Gott namens Tiw, Tyr oder Tius. Er gilt als der entthronte Gott des Himmels. War er Anfangs gleichzusetzen mit dem „Gott, der alles beherrscht“ wurde er später als Kriegsgott erwähnt, während Wodan (Odin) zum wichtigsten Gott emporstieg. Teilweise noch bis heute überlieferte Rituale zu bestimmten Tages- oder Jahreszeiten lassen auch ohne direkte Berichterstattung den Schluß zu, daß sich auch unsere Vorfahren mit den Vorgängen am Himmel befaßten. So berichtete schon Cäsar z. B. von der Verehrung von Sonne und Mond. Noch im 19. Jh. bezeugte in Deutschland die Landbevölkerung beim Aufgang von Sonne und Mond durch Hutabnehmen ihren Gruß. Am Ostermorgen wurde der Sonnenaufgang von einem Hügel aus beobachtet. Auch wurde vor Sonnenaufgang, unter strengstem Schweigen, Wasser geschöpft. Gegen Fieber wurde die Sonne bei ihrem Aufgang dreimal angerufen. Neu- und Vollmonde waren für Versammlungen günstig, ferner das Anrufen des Neu- oder Vollmondes bei Zahnschmerzen. Der zunehmende Mond ist günstig beim Säen und Pflanzen und macht die Menschen fruchtbar; der abnehmende Mond dagegen trocknet aus und kühlt ab, verursacht Fallsucht und Mondsucht. Übrigens galt der Freitag als günstig, bis ihn das Christentum zu einem Unheiltag machte.

Schöpfungsgeschichten

Von der Vorstellung, die sich die Germanen von der Entstehung des Weltalls machten, ist uns sehr wenig erhalten geblieben. Tacitus ist wieder einmal unser wichtigster Autor. Er vermerkt in bezug auf den Ursprung der Germanen folgendes: „Die Germanen verherrlichen in alten Liedern (bei ihnen die einzige Form von Überlieferung und Geschichtsschreibung) Tuisto, den der Erde entsprossenen Gott. Ihm schreiben sie einen Sohn Mannus als Stammvater und Gründer ihres Volkes zu. Mannus soll drei Söhne gehabt haben, nach deren Namen die germanischen Stämme benannt wurden: Ingävonen, die dem Ozean am nächsten wohnten, Herminonen in der Mitte, und die übrigen, die Istävonen heißen.“ Das christliche Wessobrunner Gebet, ein Fragment, das im neunten Jahrhundert in Süddeutschland niedergeschrieben wurde, schildert noch mit germanischen Formeln den Zustand vor der Schöpfung:

… Daß Erde nicht war, noch oben Himmel,
Noch irgendein Baum, noch Berg nicht war,
Noch Sonne nicht schien …
Noch Mond nicht leuchtete, noch das herrliche Meer …

 Eine andere Geschichte lautet: „Die Söhne des Riesen Bor (Odin, Wili und We) fanden am Strande zwei Baumstämme, aus denen sie das erste Menschenpaar machten. Den Mann nannten sie Ask (d.h. „Esche“), die Frau Embla; von ihnen stammt das ganze Menschengeschlecht ab.

Snorri Sturluson (1179 – 1241), ein isländischer Gelehrter, trug mythologisches Material über seine Vorfahren zusammen und nannte seine Sammlung die „Snorra-Edda“. Der ausführliche Prolog beginnt mit der Schöpfung der Welt und ist natürlich völlig von mittelalterlich-christlichem Gesichtspunkt aus abgefaßt. Bevor das Leben erschaffen war, gab es den Urraum. Und diesen Urraum beschreibt er folgendermaßen: „Im Norden des Urraums lag ein kaltes Nebelgebiet. Dort befand sich der Brunnen Hergelmir, aus dem verschiedene Flüsse entsprangen. Im Süden lag als Gegenstück ein sehr warmes Gebiet, Muspell, das Reich des Feuerriesen Surt. In seinem nördlichen Teil war der Urraum voller Rauhreif und Staubregen, im südlichen voller Glut und Funken. In der Mitte entstand ein lauwarmer Raum, aus dem der Riese Ymir geboren wurde. Von ihm stammen die Riesen ab. Während er schlief, wurden unter seiner linken Hand ein Mann und eine Frau geboren. Aus dem schmelzenden Eis entstand die Kuh Audumla, vier Ströme kamen aus ihrem Euter und nährten Ymir. Die Kuh leckte am salzigen Eis, und es kam ein männliches Wesen daraus zum Vorschein. Dieses hatte einen Sohn, Bor, der die Riesentochter Bestla zur Frau nahm. Odin, Wili und We waren ihre Kinder. Diese drei nun töteten Ymir und legten ihn in die Mitte des Urraums. aus seinem Fleisch machten sie die Erde, aus seinen Knochen die Felsen, aus seinem Blut das Meer, aus seinem Haar die Wälder, aus einem Gehirn die Wolken und aus seinem Schädel das Firmament.“

Das Ende der Welt spielte auch in den Mythen der Germanen eine Rolle. Jedoch wurde der Weltuntergang nie als Folge der Zusammenkünfte von Planeten, sondern immer als Schicksalsfügung angesehen. Einmal ist es das Blut eines Riesen, das alles überschwemmt. Ein anderes mal ist es die große Hitze aus dem Süden, die alles Leben bedroht. Im germanischen Gedicht „Der Seherin Gesicht“ ist sehr eindrucksvoll geschildert, wie der Dichter sich den Weltuntergang vorstellt. Weniger als ein Kampf der Menschen, sondern als einen Kampf zwischen den Göttern.

Bauwerke und Sternwarten

Das wohl berühmtestes Bauwerk der Megalithkultur, ein Steinmonument, ist Stonehenge in Südengland. Erbaut wurde es in den Jahren 2200 bis 1300 v. Chr. in drei sich deutlich voneinander abhebenden Bauabschnitten. Noch heute ist nicht eindeutig geklärt, welchem Zweck es diente. Vielleicht war es ja ein Observatorium zur Vorhersage wichtiger astronomischer Ereignisse.

Das ursprüngliche Stonehenge bestand aus einem runden Wall und Graben mit 56 Löchern. Sie wurden von J. Aubrey entdeckt und tragen seither den Namen „Aubrey-Löcher“. Ein „Heelstone“ stand vor dem einzigen Eingang der Anlage. Etwa 200 Jahre nachdem die ersten Steine gesetzt worden waren, wurden zusätzliche Steine im Inneren der Anlage aufgestellt. Diese Steine sind behauen und in Kreis oder Hufeisenform aufgestellt. Von der Mitte der Anlage geht der Blick in Richtung zum „Heelstone“ auf jenen Punkt am Himmelsrand, wo sich am Tag der Sommersonnenwende (21. Juni) die Sonne erhebt. Etwa 1500 Jahre nach Beginn wurde in der Mitte ein Altarstein errichtet (siehe Abb. 4, Planzeichnung der Megalithenanlage von Stonehenge). Doch wozu diente Stonehenge?

Die exakte Planung und Handwerkskunst deutet auf eine sehr wichtige Anlage hin. Über die Nutzung dieser Anlage gibt es natürlich die unterschiedlichsten Spekulationen, Hier möchte ich nur die wichtigsten vorstellen. Stonehenge könnte als Bestattungsstätte oder als Opferstätte erbaut worden sein. Es könnte aber auch ein einmaliges Observatorium zum Feststellen wichtiger Kalenderdaten sein, wie z.B. der Sommersonnenwende. Aber natürlich ist auch der Bau für astrologische Zwecke denkbar. Die Erbauer waren sicherlich kein primitives Bauernvolk, sondern Menschen mit bemerkenswertem Wissen und Können. Vielleicht hat noch niemand die wahre Bedeutung von Stonehenge erkannt. Der Astronomieprofessor Gerald Hawkins behauptete 1960: „Stonehenge war ein riesiges Observatorium und Rechenanlage“ Er berechnete mit Hilfe von Computern die Stellung von Sonne, Mond, Planeten und Sterne im Jahre 1500 v. Chr. und zeigte, daß Stonehenge sehr wohl als Kalender oder Rechenmaschinen für Vorhersagen von Finsternissen dienen könnte. Wie auch immer, die eigentliche Bestimmung wird uns wohl für immer verborgen bleiben. Aber es gibt auch andere Bauwerke dieser Kultur, so z.B. in Avebury (England) oder in Carnac (Frankreich). Hier möchte ich diesen Aufsatz beenden und Sie einladen, die Fortsetzung in der nächsten Ausgabe zu lesen. Also, bis dann!

Autor: Dieter Meyer

 

 

Literaturhinweise

Zinner: Geschichte der Sternkunde
Kolb: Wer waren die Kelten?
Derolez: Götter und Mythen der Germanen
Westwood: Sagen – Mythen – Menschheitsrätsel

 

Bildnachweise
Foto Stonehenge: J. Westwood: Sagen – Mythen – Menschheitsrätsel
Felszeichnungen und Sonnenwagen: R. Derolez: Götter und Mythen der Germanen
Planskizze Stonehenge: R. Müller: Sonne, Satelliten, Kometen & Blitze

Das kopernikanische Weltbild und die Probleme, es im christlichen Europa durchzusetzen

Selbstverständlich ist die Erde der Mittelpunkt des Universums! Um sie kreisen die Sonne, der Mond und die anderen fünf Planeten, allesamt an völlig durchsichtigen Kristallsphären befestigt. An der äußeren Sphäre schließlich sind die Fixsterne angebracht – soweit die einhellige Meinung im Mittelalter.

Claudius Ptolemäus

Der griechische Astronom Klaudios Ptolemaios hatte im 2. Jahrhundert in seinem Hauptwerk, dem „Almagest“ (was eigentlich nur die arabische Verstümmelung des ursprünglichen Titels ist), das geozentrische Weltbild beschrieben. Damit bestimmte er seither das astronomische Denken und Lehren des gesamten Abendlandes, und das anderthalb Jahrtausende lang.

Auch die katholische Kirche sah das ptolemäische Weltbild als das einzig richtige an. Die katholische Kirche war im Mittelalter die beherrschende Autorität in Europa, sogar die weltlichen Herrscher, Könige, Kaiser, kamen in ernste Bedrängnis, wenn sie sich mit ihr anlegten. Die europäischen Gelehrten waren zum größten Teil Mitglieder des Klerus, und die Universitäten waren kirchliche Schulen. So bestimmte die Kirche bis ins 17. Jahrhundert die astronomische Lehrmeinung.

Nikolaus Kopernikus

Erst 1543 veröffentlichte ein Pole namens Nikolaus Kopernigk in seinem Buch „De Revolutionibus Orbium Celestium“ (Über die Bahnen der Himmelskörper) die Theorie, daß sich die Erde um sich selbst drehe und mit den anderen Planeten die Sonne umkreise – eine absurde Vorstellung für seine Zeitgenossen. Welche Welle der Empörung er damit ausgelöst hat, erlebte Kopernikus nicht mehr selbst; als sein Buch im Druck erschien, sei er schon mehrere Monate tot gewesen, sagen einige Quellen, andere berichten, er habe das erste Exemplar auf dem Sterbebett in den Händen gehalten. Trotzdem wußte er genau, welche Art von Widerstand ihm entgegengesetzt würde. In seinem Vorwort an Papst Paul III. (dem er das Buch auch gewidmet hatte, ein geschickter Zug) schrieb er: „Sollten etwa leere Schwätzer, die allen mathematischen Wissens bar sind, sich dennoch ein Urteil anmaßen und durch absichtliche Verdrehung irgendeiner Stelle der heiligen Schrift dieses mein Werk zu tadeln oder anzugreifen wagen, so werde ich mich nicht um sie kümmern, sondern ihr Urteil als unbesonnen mißachten.“

Und tatsächlich nahmen sich Kopernikus‘ Gegner die Bibel als Waffe. Der Reformator Johannes Calvin beispielsweise zitierte in einem Bibelkommentar den 93. Psalm: „Der Erdkreis ist fest gegründet, nie wird er wanken“ und fragte: „Wer will es wagen, die Autorität von Kopernikus über die des heiligen Geistes zu stellen?“ Philipp Melanchton, ein Mitarbeiter Martin Luthers, wies auf Kohelet 1,4-5 hin, wo es heißt: „Eine Generation geht, die andere kommt. Die Erde steht in Ewigkeit. Die Sonne, die aufging und wieder unterging, atemlos jagt sie zurück an den Ort, wo sie wieder aufgeht.“ Luther selbst zog noch mehr über Kopernikus her: „Es ward gedacht eines neuen Atrologi, der wollte beweisen, daß die Erde bewegt würde und umginge, nicht der Himmel oder das Firmament, Sonne und Monde; gleich als wenn einer auf einem Wagen oder einem Schiffe sitzt und bewegt wird, meinete, er säße still und ruhete, das Erdreich und die Bäume gingen um und bewegten sich … Der Narr will die ganze Kunst Astronomiae umkehren. Aber wie die heilige Schrift anzeigt, so hieß Josua die Sonne still stehen, und nicht das Erdreich.“ Hier bezieht er sich auf Josua 10,13: „Und die Sonne blieb stehen, und der Mond stand still, bis das Volk an seinen Feinden Rache genommen hatte …“

Dem allen setzten die Befürworter Kopernikus‘ entgegen, daß die Bibel zwar nicht irren könnte, wohl aber diejenigen, die sie auslegten. Was in der Bibel stehe, sei nicht wörtlich zu nehmen. Gott selbst würde so nämlich Hände, Füße und ein Gesicht zugeschrieben, das allerdings wäre Häresie. Vielmehr müsse man interpretieren, was die Bibelschreiber sagten. Hier sei als Beispiel der französische Philosoph Nikolaus von Oresme zitiert, der schon im 14. Jahrhundert die Idee hatte, daß sich die Erde genausogut um die Sonne drehen könnte wie umgekehrt: „Auf das Argument aus der heiligen Schrift das besagt, daß sich die Sonne um die Erde dreht, würde man sagen, daß sie hier dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht, wie auch an einigen Stellen, zum Beispiel, wenn es geschrieben steht, daß Gott mitleidig oder zornig oder besänftigt ist, und all die anderen Dinge, die nicht genau so sind, wie sie klingen.“

Doch es nützte nichts. Die Bibel zu zitieren und dem heliozentrischen Weltbild entgegenzutreten wurde fast zu einer Art Gesellschaftsspiel. Anfang des 17. Jahrhunderts brachten zahlreiche Geistliche ihre Zeit damit zu, die Bibel Zeile für Zeile nach „Beweisen“ für das ptolemäische Weltbild abzusuchen.

Johannes Kepler

Trotz der massiven Kritik an der neuen Theorie gab es immer einige wenige, die sie verfochten und weiterentwickelten. Johannes Kepler war einer davon. Er war dahintergekommen, daß die Planetenbahnen elliptisch sind und nicht kreisförmig. Diese Erkenntnisse hatte er 1609 in seiner „Astronomia Nova“ an die Öffentlichkeit gebracht. Doch viel mehr als wüste Beschimpfungen hatte man nicht übrig für seine „absurden, blasphemischen Hirngespinste“ (so sein ehemaliger Theologielehrer Matthias Haffenreffer). Für den Abt des Klosters Babenhausen war Kepler ein „Ketzer“ und ein „ungesundes Schaf“. Die oberste Verwaltungsbehörde der evangelischen Landeskirche in Stuttgart nannte ihn ein „Schwindelhirnelein“. Schließlich machte man ihm die Eltern seiner Schüler abspenstig, um ihm – erfolgreich – einen finanziellen Schaden zu versetzen.

Galileo Galilei

Ein anderer Verfechter des heliozentrischen Weltbildes lebte zur selben Zeit in Italien: der Mathematikprofessor Galileo Galilei. Der erregte 1610 Aufsehen mit seiner ersten großen wissenschaftlichen Veröffentlichung „Sidereus Nuncius“ (Botschaft von den Sternen). Er berichtete darin von den Entdeckungen, die er mit seinem Teleskop gemacht hatte, darunter auch die Monde des Jupiter. Außerdem schrieb er mehrfach deutlich, daß er das kopernikanische Weltbild für wahr hielt. Zu dieser Überzeugung war er gelangt, als er beobachtet hatte, wie die Monde um Jupiter kreisen. Genausogut könnten die Planeten die Sonne umkreisen, dachte er; ein Beweis waren die Jupitermonde allerdings nicht und Galilei blieb ihn lebenslang schuldig.

Einmal schrieb er seinem Freund, dem Benediktinermönch Benedetto Castelli, einen Brief, in dem er ebenso argumentierte, wie es alle Befürworter Kopernikus‘ zuvor getan hatten: Die Bibel sei nicht wörtlich zu nehmen, sondern müsse interpretiert werden. Diesen Brief ließ Galilei vielfach abschreiben und verbreiten. Einem Dominikaner namens Tomasso Caccini stieß das sauer auf: Er fuhr bald darauf nach Rom, wo er Galilei bei der obersten katholischen Glaubensbehörde anzeigte, beim heiligen Offizium. Galilei vertrete die Theorie, daß die Sonne stillstehe und die Erde sich darum drehe, was doch im Widerspruch zur hl. Schrift stehe. Im Februar 1616 befaßte sich das hl. Offizium, eine Versammtlung von Kardinälen um den Papst (damals Paul V.), mit diesen beiden Theorien. Es kam zu dem Ergebnis, diese Thesen seien töricht und häretisch. Der Papst beauftragte nun einen Kardinal, Galilei aufzusuchen, ihn von dessen Behauptungen abzubringen und ihm notfalls vor Zeugen und einem Notar den Befehl zu erteilen, zukünftig die kopernikanischen Theorien weder zu lehren noch zu verteidigen. Wenn Galilei sich weigere, sei er festzunehmen. Galilei gab das Versprechen.

Die Indexkongregation, also die Behörde, die zu jener Zeit für die kirchliche Druckerlaubnis oder Zensur von Büchern zuständig war, bezeichnete Galileis Werk als „ganz und gar der heiligen Schrift widersprechend“ und verbot den weiteren Druck und die Verbreitung von „Sidereus Nuncius“. Auch Kopernikus‘ „De Revolutionibus Orbium Celestium“ wurde auf den Index gesetzt. Von der kopernikanischen Lehre durfte nur noch als Hypothese gesprochen werden, nicht mehr als Erkenntnis oder dergleichen.

Titelblatt von Galileis Dialogo

Nach einigen ruhigen Jahren kam 1632 wieder eine Schrift Galileis unters Volk: „Dialogo Sopra I Due Massimi Sistemi Del Mondo“, ein Rollenspiel, in dem zwei Kluge einem Dummen das kopernikanische Weltbild als einzig richtiges erklären, und zwar mit vernünftigen wissenschaftlichen Argumenten, während der Dumme sich mit seinen altmodischen Ansichten ständig lächerlich macht (ihm hat Galilei als besondere Bosheit mehrere Zitate des Papstes in den Mund gelegt). Diesmal fanden sich schnell viele Empörte und Verärgerte, die eine Zensur des Buches erwriken wollten. Der Papst selbst, seit 1623 Urban VIII., setzte eine Kommission ein, die die Angelegenheit behandeln sollte. Diese bemängelte: „Oft ist in dem Werk von bloßer Hypothese nicht mehr die Rede, indem entweder die Bewegung der Erde oder der Stillstand der Sonne einfachhin behauptet werden, oder die Beweisgründe hierfür als gültige und notwendige, das Gegenteilige als unmöglich bezeichnet werden.“ Dies war ein klarer Bruch des Versprechens von 1616. Das hl. Offizium kam zum selben Schluß wie die Kommission. Nun ließ es Galilei nach Rom vorladen. Vier Monate später traf der Siebzigjährige dort ein. Er wurde mehrfach verhört. Als man ihm Folter androhte und ihn fragte, welches Weltbild er für das richtige halte, antwortete er, bis 1616 habe er noch zwischen den beiden Systemen geschwankt. „Nach jenem Dekret von 1616 schwand in mir jeder Zweifel, und ich hielt, wie ich es immer noch halte, die Lehre des Ptolemäus für durchaus richtig und unzweifelhaft.“ Man machte ihn aufmerksam auf den Widerspruch zwischen seiner „Dialogo“ und ermahnte ihn, nochmals unter Androhung der Folter, die Wahrheit zu sagen. Galilei blieb bei seiner Aussage und unterschrieb schließlich das Protokoll. Am nächsten Tag wurde ihm das Urteil verlesen: „… bist du allen Zensuren und Strafen verfallen, welche die Kanones und sonstigen allgemeinen und besonderen Bestimmungen gegen ähnliche Vergehen verhängen und ankündigen. Wir bewilligen jedoch, daß du losgesprochen seiest, unter der Bedingung, daß du vorher aufrichtigen Herzens und ohne Heuchelei vor uns die genannten Irrtümer und Häresien wie überhaupt jeden anderen Irrtum und jegliche gegen die katholische und apostolische Kirche gerichtete Ketzerei abschwörst, verurteilst und verabscheust in der von uns bestimmten, dir zu berreichenden Form… Damit übrigens dein schwerer und verderblicher Irrtum und Fehltritt nicht ganz ungestraft bleibe… so verordnen wir, daß dein Buch… durch öffentliche Bekanntmachung verboten werde… Die verurteilen wir zu Kerkerhaft im heiligen Offizium nach unserem Ermessen, und zur heilsamen Buße erlegen wir dir auf, drei Jahre hindurch wöchentlich einmal die sieben Bußpsalmen zu beten…“ Schließlich mußte Galilei die Abschwörungsformel vorlesen: „Ich, Galileo,… auf den Knien vor euch, hochwürdigste Eminenzen Kardinäle und Generalinqzisitoren gegen die häretische Verderbnis für die ganze Christenheit… schwöre, stets geglaubt zu haben, gegenwärtig zu glauben und in Zukunft mit Gottes Hilfe glauben zu wollen alles das, was die heilige katholische und apostolische Kirche für wahr hält, predigt und lehret… so schwöre ich ab, verwünsche und verabscheue ich genannte Irrtümer und Häresien… auch beschwöre ich, in Zukunft nie mehr weder schriftlich noch mündlich ähnliches sagen oder behaupten zu wollen…“

Die harte Haltung der katholischen Kirche läßt sich durch die geschichtliche Situation zu dieser Zeit erklären. Zu Beginn waren es hauptsächlich Protestanten, die das kopernikanische System bekämpften. Da sie als Glaubensgrundlage ausschließlich die Worte der Bibel anerkannten, lehnten sie es ab, den Wortlaut zu interpretieren. Doch mit Beginn des Dreißigjährigen Krieges 1618, des Krieges zwischen Protestanten und Katholiken, verlor die katholische Kirche nach und nach ihre Vormachtstellung. Nachdem auch Gustav Adolf von Schweden 1630 in den Krieg eingriff und mehr und mehr katholische Bastionen protestantisch wurden, nachdem also der Einfluß der katholischen Kirche immer mehr und mehr schwand, und nachdem Gustav Adolf am Vorabend des Galileiprozesses München angriff, und so der Fortbestand der katholischen Vormachtstellung im deutschen Reich unmittelbar bedroht war, mußte man in Rom ein Exempel statuieren, daß auch die katholische Kirche die Bilbel wörtlich nimmt, denn an der Art, wie die Bibel zu verstehen sei, hatte sich der ganze Glaubenskrieg entzündet. Demonstrativ stellte die katholische Kirche also die Bibel als einzige Instanz bei der Wahrheitsfindung dar, sozusagen aus Selbsterhaltungstrieb.

In den folgenden Jahrhunderten setzte sich das kopernikanische Weltbild mehr und mehr durch. Die befürwortenden Stimmen und Schriften wurden immer zahlreicher, Angriffe und Widersprüche immer seltener. In der Mitte des 17. Jahrhunderts gab es kaum noch bedeutende Astronomen, die nicht Kopernikaner gewesen wären, fünfzig Jahre später nahezu keinen mehr. Im Laufe des 18. Jahrhunderts setzte sich auch im Volk die kopernikanische Lehre durch.

Schon zwanzig Jahre nach Galileis Tod wollten zahlreiche Leute eine Revision des Urteils gegen ihn erreichen. Die Kirche reagierte prompt und rehabilitierte Galilei – am 2. November 1992.

 

Literatur:

  • Thomas S. Kuhn: Die kopernikanische Revolution, Braunschweig 1981
  • Walter Brandmüller: Galilei und die Kirche, Regensburg 1982